3. Die Ursache der Sünde liegt im freien Willen.
Allein wenn ich auch behauptete und daran festhielt, daß du erhaben über jede Befleckung und Veränderung und in keiner Hinsicht wandelbar bist, du unser Herr und wahrer Gott, der du nicht nur unsere Seelen, sondern auch unsere Leiber, nicht nur unsere Seelen und Leiber, sondern alle und alles geschaffen hast, so war mir doch die Frage nach der Natur des Bösen noch nicht klar und gelöst. Das aber sah ich deutlich ein: wie immer sie beschaffen sein mochte, ich durfte sie nur so suchen, daß ich durch sie nicht genötigt würde, den unveränderlichen Gott veränderlich zu glauben, damit ich selbst nicht würde, was ich suchte. Und so forschte ich in Sicherheit danach und überzeugt von der Falschheit der Lehren der Manichäer, die ich aus ganzem Herzen floh, weil ich bei meiner Forschung nach dem Ursprunge des Bösen erkannte, daß sie von Bosheit strotzten, so daß sie lieber erklärten, deine Natur leide Böses, als die ihre tue es.
Und ich bemühte mich einzusehen, was ich gehört hatte: die freie Willensentscheidung sei die Ursache unserer Sünden und dein gerechtes Gericht die Ursache unserer Leiden; aber ich konnte das nicht klar einsehen. Ich versuchte, das Auge meines Geistes aus der Tiefe emporzuheben, doch ich sank wieder hinein, und so oft S. 134 ich es wiederholte, erging es mir immer wieder so. Es hob mich nämlich zu deinem Lichte empor das Bewußtsein, ebenso einen Willen wie das Leben selbst zu haben. Wenn ich daher etwas wollte oder nicht wollte, so war ich ganz sicher, daß niemand anders als ich es wollte oder nicht wollte, und immer mehr wurde mir offenbar, daß darin der Grund meiner Sünde liege. Was ich aber wider Willen tat, das sah ich weit eher als ein Leiden denn als ein Tun an und hielt es nicht für Schuld, sondern für Strafe, wenn ich mir auch bald gestehen mußte, daß deine Gerechtigkeit mich nicht unverdient treffe. Aber dann sagte ich wieder: "Wer hat mich geschaffen? Ist's nicht mein Gott, der nicht bloß gut, sondern das Gut selbst ist? Woher kommt es also, daß ich das Böse will und das Gute nicht will? Etwa um gerechte Strafe büßen zu müssen? Wer hat in mich hineingelegt und gesät einen solchen Pflanzgarten der Bitterkeit, wenn ich ganz von meinem süßesten Gott erschaffen wurde? Ist aber der Teufel der Urheber, woher kommt der Teufel selbst? Und wenn er selbst durch eine Verkehrung seines Willens aus einem Engel ein Teufel wurde, woher kommt in ihm der böse Wille, durch den er zum Teufel wurde, wenn der ganze Engel vom allgütigen Schöpfer geschaffen ist?" Solche Erwägungen drückten mich nieder und erstickten mich, zogen mich jedoch nicht bis zu dem Abgrunde des Irrtums herab, „in welchem dich niemand bekennt“1, indem man glaubt, du könntest eher Böses dulden, als der Mensch Böses tun.
Ps. 6,6. ↩
