II. 4.
Nicht jeder, der schont, ist dein Freund, nicht jeder, der schlägt, dein Feind. „Besser sind die Wunden, die ein Freund schlägt, als die zudringlichen Küsse des Feindes“1. Besser ist es, mit Strenge zu lieben, als mit Milde zu hintergehen. Nützlicher ist es, dem Hungernden das Brot zu nehmen, wenn er über der Speise der Gerechtigkeit vergißt, als ihm das Brot zu reichen, damit er sich zur Ungerechtigkeit verleiten lasse. Wer einen Tobsüchtigen bindet und einen Schlafsüchtigen aufrüttelt, fällt beiden lästig und liebt doch beide. Wer kann uns mehr lieben als Gott? Und doch hört er nicht auf, bald uns mit Freundlichkeit zu belehren, bald uns heilsam in Schrecken zu setzen. Auch die frommen und gottesfürchtigen Altväter hat er dadurch erzogen, daß er den tröstenden Beweisen seiner Liebe oft die bitterste Arznei der Trübsal beifügte. Das hartnäckige Volk trieb er durch strenge Strafen an. Vom Apostel nahm er selbst auf dreimaliges Bitten den Stachel des Fleisches S. 338 nicht hinweg, damit die Kraft in der Schwachheit sich vollende2. Wir wollen also unsere Feinde lieben, weil dies gerecht ist und Gott es befiehlt, „damit wir Kinder seien unseres Vaters, der im Himmel ist, der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“3. Aber wie wir uns dieser seiner Gaben freuen, so wollen wir auch seiner Strafen gegen die, die er liebt, gedenken.