15.
Wenn wir daher auch den Leib des Herrn, der nach seiner Auferstehung sich zum Himmel erhob, uns nur in menschlicher Gestalt und mit menschlichen Gliedern denken, so darf man doch nicht meinen, er sitze in solcher Weise zur Rechten des Vaters, daß der Vater zu seiner Linken zu sitzen scheine. In jener Glückseligkeit nämlich, die jeden Menschenverstand überragt, gibt es S. 476 nur eine Rechte, und eben diese Rechte ist die Bezeichnung eben dieser Glückseligkeit. Darum darf man auch das Wort, das der Herr nach seiner Auferstehung zu Maria sprach: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren“1, nicht in so abgeschmackter Weise deuten, daß man etwa glaubt, der Herr habe sich nach seiner Himmelfahrt von Frauen berühren lassen wollen, wie er sich vor ihr hatte von Männern berühren lassen; sondern offenbar wollte er der Maria, die bei diesem Worte ein Bild der Kirche war, zu verstehen geben, er sei dann zum Vater aufgefahren, wenn sie erkannt habe, daß er dem Vater gleich sei. In diesem Glauben hat sie ihn zum Heile berührt; hätte sie aber geglaubt, er sei nur das, als was er im Fleische erschien, so hätte sie ihn nicht auf die rechte Weise berührt. So hat ihn der Irrlehrer Photinus2 berührt, der ihn nur für einen Menschen hielt.
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Joh. 20,17. ↩
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Photinus, Schüler Marcells von Ancyra, bildete dessen Lehre, daß dem Sohne nur eine unpersönliche energeia des allein persönlichen Vaters zukomme, zum Ebionitismus weiter aus, sofern nach ihm Christus, im Unterschiede vom Logos, bloßer Mensch ist, dem die göttliche δύναμις δραστικὴ ganz besonders innewohnt. Photinus wurde 351 zu Sirmium verurteilt und verbannt. ↩