20.
Wenn man sich also hüten muß, sich Gott ähnlich unserer Gerechtigkeit vorzustellen, weil das erleuchtende Licht ohne Vergleich erhabener ist als das, was erleuchtet wird, so muß man sich noch viel mehr vor dem Gedanken hüten, er sei etwas Geringeres, gleichsam Farbloseres als unsere Gerechtigkeit. Was ist aber die Gerechtigkeit, die in uns ist, oder eine gewisse Tugend, durch die man in rechter Weise und mit Weisheit lebt, anderes als die Schönheit des inneren Menschen? Und gewiß sind wir mehr wegen dieser Schönheit als wegen des Körpers nach Gottes Ebenbilde erschaffen. Deshalb wird uns gesagt: „Werdet nicht gleichförmig dieser Welt, sondern gestaltet euch um in Erneuerung eures Herzens, um zu prüfen, was der Wille Gottes, was gut, gottgefällig und vollkommen sei“1. Wenn also nach unserer Behauptung, nach unserer Erkenntnis und nach unseren Wünschen die Seele nicht durch Ausdehnung oder räumliche Gliederung, wie man sie an Körpern sieht oder denkt, sondern durch geistige Vorzüge, zum Beispiel durch die Gerechtigkeit ihre Schönheit erlangt und wir durch diese Schönheit zum Ebenbilde Gottes umgestaltet werden, so darf man die Schönheit Gottes, der uns nach seinem Ebenbilde umgestaltet und gebildet hat, nicht in irgendeiner körperlichen Ausdehnung suchen, sondern man muß vielmehr glauben, daß er, ebenso wie er unvergleichlich gerecht, ebenso auch unvergleichlich schön ist.
Mögen diese Bemerkungen, die in Rücksicht auf die gewöhnliche Briefform vielleicht über Erwarten lang, in Rücksicht auf eine Frage solcher Bedeutung aber kurz ausgefallen sind, deiner Liebe genügen; nicht etwa, als S. 481 ob sie zu deiner Belehrung ausreichen würden, sondern damit du auch einmal anderes lesest und hörest und dann, wohl unterrichtet, deine weiteren Behauptungen selbst zu widerlegen imstande bist. Dies aber geschieht um so besser, je demütiger und je gläubiger es geschieht.
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Röm. 12, 2. ↩