16.
Wenn jene Leute aber die Behauptung aufstellen, der Mensch könne ohne Sünde sein und, wenn er wolle, die Gebete Gottes mit Leichtigkeit halten, so könnte diese Behauptung erträglicher erscheinen, insofern gesagt wird, daß dies durch die Hilfe der Gnade geschehen könne, die aber freilich durch die Menschwerdung des Eingeborenen Gottes geoffenbart und verliehen wird. Es könnte indessen nicht mit Unrecht die Frage aufgeworfen werden, wo und wann dies durch die Gnade in uns bewirkt wird, ob in diesem Leben, da „das S. 617 Fleisch gegen den Geist gelüstet”1, oder in jenem, wo das „Wort der Schrift in Erfüllung geht: ,Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Der Stachel des Todes aber ist die SündeV'2 Diese Behauptung dürfte also mit einiger Vorsicht zu prüfen sein, da einige andere die Ansicht gehegt und sie in ihren Schriften niedergelegt haben, es könne der Mensch auch in diesem Leben ohne Sünde sein, zwar nicht gleich von seiner Geburt an, aber nach seiner Bekehrung von der Sünde zur Gerechtigkeit, vom gottlosen zum guten Leben. So verstanden sie, was von Zacharias und Elisabeth geschrieben steht: „daß sie in allen Satzungen des Herrn ohne Tadel gewandelt seien”3. Wenn es heißt .ohne Tadel’, so faßten sie dies so auf, als ob es hieße .ohne SündeV wobei sie freilich die Hilfe der Gnade unseres Herrn wie sie der Menschengeist nicht von Natur aus hat, sondern durch den beherrschenden Geist Gottes4 empfängt, nicht leugneten, sondern — wie man an anderen Stellen in ihren Schriften findet — sie ausdrücklich mit Frömmigkeit zugestanden. Dabei scheinen sie zu wenig zu bedenken, daß eben dieser Zacharias doch Priester war alle Priester aber damals gemäß dem Gesetze verpflichtet waren, zuerst für ihre eigenen Sünden das Opfer darzubringen und erst dann für die des Volkes. Wie uns also jetzt bei dem Opfer des Gebetes gezeigt wird, daß wir nicht ohne Sünde sind, da wir sprechen sollen: „Vergib uns unsre Schulden”5, so wurde damals bei dem Tieropfern den Priestern gezeigt, daß sie nicht ohne Sünde waren, da ihnen befohlen war, für ihre eigenen Sünden ein Opfer darzubringen.