2.
Man darf nie seine Freude an Uneinigkeiten haben; aber bisweilen kommen sie auch von der Liebe her oder bewähren die Liebe. Denn wo findet man jemanden, der sich gerne tadeln ließe? Wo ist jener Weise, von dem es heißt: „Tadle den Weisen, und er wird dich lieben“?1 Aber soll man deshalb den Bruder nicht tadeln und zurechtweisen, der sonst unbesorgt dem Tode entgegengeht? Es pflegt ja zu geschehen und kommt häufig vor, daß der Getadelte für den Augenblick verdrießlich wird, die Sache nicht gut annimmt und dagegen streitet; aber doch später, im stillen, wo niemand ist als Gott und er, überlegt er die Sache mit sich und fürchtet nicht mehr, wegen des Tadels den Menschen zu mißfallen, sondern fürchtet, gerade weil er nicht getadelt wird, Gott zu mißfallen. Dann tut er nicht mehr, weswegen er mit Recht getadelt wurde, sondern liebt nach dem Maße seines Hasses gegen seine eigene Sünde den Bruder, den er als ihren Feind kennen gelernt hat. Wenn er aber zu jenen gehört, von denen S. 752 gesagt ist: „Tadle den Toren, und er wird dich dafür hassen“2, so kommt die Uneinigkeit zwar nicht von seiner Liebe, aber doch wird die Liebe des Zurechtweisenden dadurch betätigt und bewährt. Denn nicht der Haß ist es, der in ihm zurechtweist, sondern die Liebe, die ihn zur Zurechtweisung zwingt, dauert unverletzt fort, auch wenn der Zurechtgewiesene ihn haßt. Wenn aber der Zurechtweisende dem Böses für Böses erstatten will, der ihm wegen seiner Zurechtweisung zürnt, so war er nicht würdig, eine Zurechtweisung zu erteilen, sondern verdiente selbst, eine solche zu empfangen. Seid darauf bedacht, daß Streitigkeiten unter euch entweder nicht Vorkommen oder sogleich im Entstehen durch augenblickliche Versöhnung getilgt werden. Gebet euch größere Mühe, in Eintracht zu bleiben als einander zurechtzuweisen. Denn wie der Essig das Gefäß verdirbt, in dem er längere Zeit verbleibt, so verdirbt der Zorn das Herz, wenn er bis zum anderen Tage andauert. „Befolget also diese Mahnung, und der Gott des Friedens wird mit euch sein!“3 Betet aber für uns, damit wir die gute Lehre, die wir euch geben, auch selbst mit Eifer vollbringen!