IV. 12.
Die Gnade Gottes liegt also nicht in der Natur des freien Willens oder im Gesetze und in der Lehre, wie die pelagianische Irrlehre faselt, sondern sie wird zu jedem einzelnen Akte durch den Willen desjenigen gegeben, von dem geschrieben steht: „Aus freien Stücken gabst Du, o Gott, Deinem Erbteile einen besonderen Regen“1. Denn wir haben den freien Willen zur Liebe Gottes durch die Ungeheuerlichkeit der ersten Sünde verloren, und obwohl das Gesetz Gottes und die Offenbarung heilig, gerecht und gut sind, so töten sie doch, wenn nicht der Geist belebt, der bewirkt, daß sie nicht im Gehör, sondern im Gehorsam, nicht im Lesen, sondern in der Liebe festgehalten werden. Daß wir also an Gott glauben und ein frommes Leben führen, „ist nicht das Werk dessen, der will oder läuft, sondern des sich erbarmenden Gottes“2; nicht als ob wir nicht wollen oder laufen müßten, sondern weil er in uns das Wollen und Laufen bewirkt. Darum unterscheidet auch der Herr Jesus selbst die Glaubenden von den Nichtglaubenden, das heißt die Gefäße der Barmherzigkeit von den Gefäßen des Zornes, indem er spricht: „Niemand kommt zu mir, wenn es ihm nicht von meinem Vater gegeben ist“3. Und zu dieser Rede gab ihm Veranlassung S. 778 der Umstand, daß diejenigen aus seinen Jüngern sich an seiner Lehre geärgert hatten, die ihm von da an nicht mehr nachfolgten. Wir wollen also nicht der Lehre den Namen der Gnade geben, sondern erkennen, daß die Gnade die Lehre nützlich macht, während wir bei mangelnder Gnade sehen, daß die Lehre sogar schadet.