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Der Lobgesang1 freilich, den sie unserem Herrn 'Jesus Christus zuschreiben und der deine Ehrwürdigkeit besonders gerührt hat, pflegt sich in den apokryphen Schriften zu finden. Allein diese sind den Priszillianisten nicht eigentümlich, sondern werden auch von anderen Mitgliedern einiger Sekten mit ruchloser Eitelkeit gebraucht. So verschieden auch sonst ihre Ansichten sind, weshalb sie nach ihren mannigfaltigen persönlichen Irrlehren sich richten, so haben sie doch bei aller Verschiedenheit diese Schriften gemeinsam; und besonders jene pflegen sie viel zu gebrauchen, die das alte Gesetz und die kanonischen Propheten nicht anerkennen. Denn sie leugnen, daß diese echten Schriften auf den guten Gott und auf Christus, seinen Sohn, sich beziehen; so tun die Manichäer, die Marcionisten2 und die anderen, S. 817 die an dieser verdammungswürdigen Lästerung ihre Freude haben. Auch von den kanonischen Schriften des Neuen Bundes, das heißt von den echten Evangelien und den kanonischen Briefen, nehmen sie nicht alles an, sondern nur, was ihnen paßt, und erkennen nach Willkür einige Bücher an, andere aber nicht. Aber auch von den einzelnen Schriften heben sie nur jene Stellen aus, die nach ihrer Ansicht ihre Irrtümer bestätigen, den übrigen Inhalt erklären sie für gefälscht. So verwerfen die Manichäer das kanonische Buch, das den Titel „Apostelgeschichte” führt; denn sie scheuen die ganz offene Wahrheit, die sich in der Sendung des Heiligen Geistes zeigt, der vom Herrn Jesus Christus in den echten Evangelien verheißen wurde. Mit dem Namen des Heiligen Geistes nämlich, der ihnen ganz fremd ist, täuschen sie unverständige Menschenherzen, indem sie mit staunenswerter Verblendung behaupten, es sei diese Verheißung des Herrn durch den Urheber ihrer Irrlehre, durch Manichäus, erfüllt worden. Das gleiche tun auch jene Irrlehrer, die man Kataphrygier3 nennt, indem sie S. 818 behaupten, der Heilige Geist, den Christus zu senden verheißen Lat, sei gekommen, ich weiß nicht in was für irrsinnigen Personen, nämlich in Montanus und Priszilla, die sie auch für ihre eigentümlichen Propheten halten.
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Ich setze den Lobgesang, wie ihn Augustinus überliefert, vollständig her: Salvare volo et salvari volo; Solvere volo et solvi volo; Ornare volo et ornari volo; Generari volo; Cantare volo, saltate cuncti; Plangere volo, tundite vos omnes; Lucerna sum tibi, ille qui me vides; Ianua sum tibi, quicumque me pulsas; Qui vides quod ago, tace opera mea; Verbo illusi cuncta et non sum illusus in totum. ↩
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Marcion (gestorben um 170) war ein Schüler des syrischen Gnostikers Cerdo. Da nach seiner Meinung im Christentum noch viel Jüdisches steckte, bemühte er sich, dieses auszuscheiden. Er verwarf alle biblischen Schriften und Bücher mit Ausnahme des verstümmelten Lukasevangeliums und 10 Paulinischer Briefe (Pastoralbriefe und Hebräerbrief wurden verworfen). An dieses Evangelium hängte er seine Antitheses an, um den Gegensatz zwischen Altem und Neuem Testamente, zwischen Gesetz und Gnade recht scharf hervortreten zu lassen. Seine Askese war strenge Enthaltung von der Ehe und Beschränkung auf die einfachste Nahrung. Seine Anhänger, in perfecti und catechumeni geschieden, waren zahlreich und erhielten sich bis ins fünfte Jahrhundert. ↩
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Kataphrygier, weil die Irrlehre des Montanus ἡ κατὰ Φρύγας αἴρεσις genannt wurde. Montanus war zuerst heidnischer Priester und trat erst in späteren Jahren zum Christentums über. Bald nach seiner Taufe (157 nach Epiphanius, 172 aber nach Eusebius) hielt er sich zum Reformator der Kirche berufen. Seinen Ideen schlossen sich zwei wie er visionäre Frauen, Maximilla und Priszilla, an. Die ekstatischen Prophezeiungen und die große sittliche Strenge verschafften der Sekte eine nicht geringe Verbreitung in Kleinasien. Papst Viktor (189—199). anfänglich durch ihre große sittliche Strenge getäuscht, schloß sie, über ihr eigentliches Wesen genauer belehrt, gleichfalls aus der Kirche aus. Die Hauptirrtümer des Montanismus sind: 1. Schwärmerische Prophezeiung des nahen Weltendes mit chiliastischer Erwartung des neuen Jerusalems; 2. die zweite Ehe ist Ehebruch; 3. der Christ muß das Martyrium suchen; 4. wer nach der Taufe in eine schwere Sünde gefallen ist, soll nicht mehr aufgenommen werden. Der bekannteste Montanist und sein Hauptanwalt in Afrika ist Tertullian. ↩