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Vier Bücher über die christliche Lehre (BKV)
29. Kapitel: Für eine gedeihliche Schrifterklärung ist auch eine Kenntnis der sogenannten rhetorischen Tropen notwendig
40. Die Gebildeten mögen wissen, daß unsere Verfasser alle Redensarten, welche die Grammatiker mit dem griechischen Namen „Tropen“ bezeichnen, angewendet haben, und zwar vielfältiger und reichhaltiger als diejenigen meinen und glauben können, welche sie nicht kennen oder sie nur in anderen Schriften kennen gelernt haben. Diejenigen, welche die Tropen kennen, finden sie auch in der Heiligen Schrift und werden durch diese Kenntnis im Verständnis der Heiligen Schrift nicht wenig gefördert. Es ziemt sich jedoch nicht, sie dem Nichtkenner an diesem Orte darzulegen, damit es nicht scheint, als wollten wir die Grammatik lehren. Ich fordere aber dazu auf, sie sonstwo zu lernen, wie ich schon oben im zweiten Buch geraten habe, wo ich über die notwendige Sprachkenntnis redete. (Vor allem lesen müßte einer können;) die Buchstaben — von dem (griechischen) Worte dafür hat die (ganze Wissenschaft der) Grammatik ihren Namen; sagen ja doch die Griechen „γράμματα“ für Buchstaben — sind nämlich die (schriftlichen) Zeichen für die Laute unserer vernünftigen Sprache, in der wir reden. Was jene Tropen anbelangt, so liest man in den heiligen Büchern nicht allein Beispiele von allen, sondern von einigen sogar die Namensbezeichnung, wie z. B. Allegorie, Änigma, Parabel. Freilich finden sich fast alle Tropen, die in der schönen Wissenschaft gelernt werden sollen, auch in den Ausdrücken solcher Personen, die niemals einen Professor gehört haben und sich mit der gewöhnlichen Volkssprache begnügen. Denn wer gebraucht nicht S. 142den Ausdruck: „So magst du blühen!“: das ist ein Tropus, den man Metapher heißt. Wer redet nicht von einem „Fischteich“, auch wenn gerade keine Fische darinnen sind oder wenn der Teich gar nicht für Fische angelegt ist? Und doch spricht man von einem „Fischteich“. Diesen Tropus heißt man Katachresis.
41. Es würde zu weit führen, wollten wir so alle anderen Tropen durchgehen. Denn der gewöhnliche Sprachgebrauch des Volkes benützt ja schon solche Redewendungen, die um so erstaunlicher sind, weil sie eigentlich das gerade Gegenteil von dem bezeichnen, was sie aussagen, z. B. die sog. Ironie oder Antiphrasis. Aber die Ironie deutet durch die Aussprache schon an, was sie eigentlich besagen will; so sagen wir z. B. zu einem Menschen, der Böses verübt: „Du treibst schöne Sachen!“ Die Antiphrasis aber bewirkt ihre gegenteilige Bedeutung nicht durch den Ton der Aussprache, sondern sie benützt entweder ihre eigentümlichen Wörter, die einen ganz entgegengesetzten Ursprung haben: so redet sie z. B. von einem „lucus“ (Hain), wo von einem „lucere“ gar keine Rede ist1; oder sie gebraucht gewohnheitsmäßig einen Ausdruck, der auch im eigentlichen Sinn vorkommt: So antwortet man uns z. B., wenn wir etwas bekommen wollen, wo nichts ist, mit dem Wort: „Ja freilich! Wir haben es ja genug!“ Endlich bewirken wir durch Beifügen von Worten, daß unsere Worte im gegenteiligen Sinn verstanden werden: So z. B. wenn wir sagen: „Hüte dich vor diesem Mensch! Denn — er ist ein guter Kerl.“ Wo gibt es also einen Ungebildeten, der nicht derlei Ausdrucksweisen im Munde führte ohne eine Ahnung zu haben, was überhaupt Tropen sind und wie sie jetzt im einzelnen Falle gerade genannt werden. — Um die Zweideutigkeiten der heiligen Schriften aufzulösen ist darum die Kenntnis der Tropen notwendig, weil man, falls der Sinn nach dem Wortlaut gefaßt widersinnig ist, ganz gewiß die Frage stellen muß, ob denn nicht vielleicht dieser oder jener Tropus in den nicht verstandenen S. 143Worten angewendet ist. Auf solche Weise wurde schon gar mancher verborgene Sinn herausgefunden.
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Man spricht daher von einem „lucua a non lucendo“. ↩
Edition
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De doctrina Christiana
CAPUT XXIX.-- Troporum cognitio necessaria.
40. Sciant autem litterati, modis omnibus locutionis, quos grammatici graeco nomine tropos vocant, auctores nostros usos fuisse, et multiplicius atque copiosius, quam possunt existimare vel credere qui nesciunt eos, et in aliis ista didicerunt. Quos tamen tropos qui noverunt, agnoscunt in Litteris sanctis, eorumque scientia ad eas intelligendas aliquantum adjuvantur. Sed hic eos ignaris tradere non decet, ne artem grammaticam docere videamur. Extra sane ut discantur admoneo, quamvis jam superius id admonuerim, id est, in secundo libro, ubi de linguarum necessaria cognitione disserui. Nam litterae, a quibus ipsa grammatica nomen accepit, Γράμματα enim Graeci litteras vocant, signa utique sunt sonorum ad articulatam vocem qua loquimur pertinentium. Istorum autem troporum non solum exempla, sicut omnium, sed quorumdam etiam nomina in divinis Libris leguntur, sicut allegoria, aenigma, parabola. Quamvis pene omnes ii tropi, qui liberali dicuntur arte cognosci, etiam in eorum reperiantur loquelis, qui nullos grammaticos audierunt, et eo quo vulgus utitur sermone contenti sunt. Quis enim non dicit, Sic floreas? qui tropus metaphora vocatur. Quis non dicit piscinam etiam [P. 0081] quae non habet pisces, nec facta est propter pisces, et tamen a piscibus nomen accepit? qui tropus catachresis dicitur.
41. Longum est isto modo caeteros persequi: nam usque ad illos pervenit vulgi locutio, qui propterea mirabiliores sunt, quia contra quam dicitur significant, sicuti est quae appellatur ironia vel antiphrasis. Sed ironia pronuntiatione indicat quid velit intelligi, uti cum dicimus homini mala facienti, Res bonas facis: antiphrasis vero ut contraria significet, non voce pronuntiantis efficitur, sed aut verba habet sua, quorum origo e contrario est, sicut appellatur lucus, quod minime luceat; aut consuevit aliquid ita dici, quamvis dicatur etiam non e contrario, veluti cum quaerimus accipere quod ibi non est, et respondetur nobis, Abundat; aut adjunctis verbis facimus ut a contrario intelligatur quod loquimur, veluti si dicamus, Cave illum, quia bonus homo est. Et quis talia non dicit indoctus, nec omnino sciens qui sint, vel quid vocentur hi tropi? Quorum cognitio propterea Scripturarum ambiguitatibus dissolvendis est necessaria, quia cum sensus, ad proprietatem verborum si accipiatur, absurdus est, quaerendum est utique ne forte illo vel illo tropo dictum sit quod non intelligimus; et sic pleraque inventa sunt quae latebant.