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Werke Augustinus von Hippo (354-430) De doctrina christiana

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Vier Bücher über die christliche Lehre (BKV)

7. Kapitel: Zum Gipfel der Weisheit steigt man auf sieben Tugendstufen empor

S. 559. Zu allererst ist notwendig, sich mit Gottesfurcht auf die Erforschung seines Willens, seiner Gebote und Verbote zu verlegen. Jene Furcht muß uns den Gedanken an unsere Sterblichkeit und an unseren künftigen Tod einprägen und muß gleichsam durch Annagelung des Fleisches alle Regungen des Hochmutes ans Holz des Kreuzes heften. Dieses Werk muß sodann durch die Frömmigkeit gemildert werden. Wir dürfen daher weder der Schrift widersprechen, wenn wir sie verstehen und sie einige Fehler von uns tadelt, noch dürfen wir sie anklagen, wenn wir sie nicht verstehen, als hätten wir bessere Einsicht und verstünden uns besser darauf, Vorschriften zu erlassen. Im Gegenteil haben wir zu denken und zu glauben, das dort Geschriebene sei, auch wenn es uns verborgen ist, besser und wahrer als das, was wir aus uns selbst zu erkennen vermögen.

10. Nach diesen zwei Stufen der Gottesfurcht und der Frömmigkeit gelangt man zur dritten Stufe, zur Erkenntniswissenschaft, von der ich nun handeln will. Denn darin übt sich ein jeder, der sich mit der Heiligen Schrift in keiner anderen Absicht beschäftigt, als um zu finden, man müsse Gott wegen Gott lieben und den Nächsten auch wegen Gott, und zwar müsse man Gott lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte, den Nächsten aber wie sich selbst1, damit so die ganze Nächsten- und Selbstliebe auf Gott bezogen werde. Von diesen beiden Geboten haben wir im vorigen Buch bei der Behandlung der Sachen gesprochen. Ein jeder muß also in der Heiligen Schrift fürs erste finden, daß er in die Liebe zu dieser Welt, das heißt zu den zeitlichen Dingen, verstrickt und daher weit von jener Gottes- und Nächstenliebe entfernt ist, wie sie die Heilige Schrift vorschreibt. Die Furcht denkt sodann an das Gericht Gottes, und die Frömmigkeit S. 56nötigt ihn, dem Ansehen der göttlichen Bücher zu glauben und sich ihm zu fügen, und so zwingen ihn beide Tugenden, sich selbst zu betrauern. Denn jene Wissenschaft der guten Hoffnung veranlaßt den Menschen nicht zum Übermut, sondern zum Reueschmerz; und dadurch erlangt er auf eifrige Bitten hin den Trost des göttlichen Beistandes und wird so davor bewahrt, in der Verzweiflung zusammenzubrechen. Auf diese Weise kommt er dann zur vierten Stufe, zur Stärke, auf der man förmlichen Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit empfindet. Kraft dieser Tugend löst er sich nämlich von jeder verderblichen Lust an vergänglichen Dingen los und wendet sich von ihnen weg zur Liebe der ewigen Dinge, nämlich zu der unveränderlichen Einheit und wesensgleichen Dreifaltigkeit (Gottes).

11. Wenn er nun, soweit es ihm möglich ist, sieht, wie die göttliche Dreifaltigkeit weithin ihre Strahlen wirft, und wenn er fühlt, daß er wegen der Schwäche seiner Augen jenes Licht nicht zu ertragen vermag, dann reinigt er auf der fünften Stufe, d. h. im Rate der Barmherzigkeit, seine Seele, die sich gewissermaßen in Aufregung befindet und ihm wegen der Flecken, die ihr infolge ihres Verlangens nach niedrigen Dingen anhaften, widerstreben möchte. Auf dieser Stufe übt er sich eifrig in der Nächstenliebe und vervollkommnet sich darin; ist er dann voll Hoffnung und mit ungeteilter Kraft bis zur Feindesliebe gekommen, so steigt er damit zur sechsten Stufe empor. Hier erwirbt er seinem Auge sogar jene Klarheit, mit der man Gott schauen kann, soweit Gott natürlich überhaupt auch von solchen Menschen gesehen werden kann, die dieser Welt nach Kräften absterben. Man sieht nämlich Gott nur insoweit, als man dieser Welt abstirbt; soweit man aber dieser Welt lebt, sieht man ihn nicht. Obgleich nun der Glanz jenes Lichtes schon viel bestimmter und nicht bloß erträglicher, sondern sogar angenehmer zu leuchten beginnt, so sagt man doch (auch noch auf dieser Stufe), unser Schauen geschehe rätselweise und wie durch einen Spiegel2; wandeln wir ja doch noch mehr im S. 57Glauben als schon im Anschauen3, solange wir in diesem Leben pilgern, und wenn wir unsern Wandel auch noch so sehr schon im Himmel hätten4. Auf dieser Stufe reinigt der Mensch das Auge seines Herzens so, daß er der Wahrheit nicht einmal seinen Nächsten vorzieht oder auch nur gleichstellt; auch sich selbst zieht er darum der Wahrheit nicht vor oder stellt sich ihr gleich, weil er es ja auch mit seinem Nächsten nicht tut, den er doch liebt wie sich selbst. Ein solcher Heiliger wird darum so einfachen und reinen Herzens sein, daß er sich weder vom Streben, den Menschen zu gefallen, von der Wahrheit abbringen läßt, noch auch davon abweicht aus Rücksicht auf irgendwelche Beschwerden, die sich diesem Leben hinderlich in den Weg stellen. Ein solcher Sohn steigt dann bis zur siebten und letzten Stufe empor, bis zur Weisheit, und genießt sie in völliger Seelenruhe. Denn der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn5. Auf den erwähnten Stufen aber strebt und kommt man von der Furcht zur Weisheit.


  1. Matth. 22, 37 ff. ↩

  2. 1 Kor. 13, 12. ↩

  3. 2 Kor. 5, 7. ↩

  4. Vgl. Phil. 3, 20. ↩

  5. Ps. 110, 10. — Vgl. Sprichw. 1, 7; 9, 10; Eccl. 1, 16. ↩

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De doctrina Christiana

CAPUT VII.-- Gradus ad sapientiam: primus, timor; secundus, pietas; tertius, scientia; quartus, fortitudo; quintus, consilium; sextus, purgatio cordis; septimus gradus seu finis, sapientia.

9. Ante omnia igitur opus est Dei timore converti ad cognoscendam ejus voluntatem, quid nobis appetendum fugiendumque praecipiat. Timor autem iste cogitationem de nostra mortalitate et de futura morte necesse est incutiat, et quasi clavatis carnibus omnes superbiae motus ligno crucis affigat. Deinde mitescere opus est pietate, neque contradicere divinae Scripturae sive intellectae, si aliqua vitia nostra percutit; sive non intellectae, quasi nos melius sapere meliusque praecipere possimus: sed cogitare potius et credere id esse melius et verius quod ibi scriptum est, etiam si lateat, quam id quod nos per nosmetipsos sapere possumus.

10. Post istos duos gradus timoris atque pietatis ad tertium venitur scientiae gradum, de quo nunc agere institui. Nam in eo se exercet omnis divinarum Scripturarum studiosus, nihil in eis aliud inventurus quam diligendum esse Deum propter Deum, et proximum propter Deum: et illum quidem ex toto corde, ex tota anima, ex tota mente diligere; proximum vero tanquam seipsum 1, id est, ut tota proximi, sicut etiam nostri, dilectio referatur in Deum. De quibus duobus praeceptis, cum de rebus ageremus, libro superiore tractavimus. Necesse est ergo, ut primo se quisque in Scripturis inveniat amore hujus saeculi, hoc est, temporalium rerum, implicatum, longe sejunctum esse a tanto amore Dei et tanto amore proximi, quantum Scriptura ipsa praescribit. Tum vero ille timor quo cogitat de judicio Dei, et illa pietas qua non potest nisi credere et cedere auctoritati sanctorum Librorum, cogit eum seipsum lugere. Nam ista scientia bonae spei hominem non se jactantem, sed lamentantem facit: quo affectu impetrat sedulis precibus consolationem divini adjutorii, ne desperatione frangatur, et esse incipit in quarto gradu, hoc est fortitudinis, quo esuritur et sititur justitia. Hoc enim affectu ab omni [P. 0040] mortifera jucunditate rerum transeuntium sese extrahit, et inde se avertens convertit ad dilectionem aeternorum, incommutabilem scilicet unitatem eamdemque Trinitatem.

11. Quam ubi aspexerit, quantum potest, in longinqua radiantem, suique aspectus infirmitate sustinere se illam lucem non posse persenserit; in quinto gradu, hoc est in consilio misericordiae, purgat animam tumultuantem quodammodo atque obstrepentem sibi de appetitu inferiorum conceptis sordibus. Hic vero se in dilectione proximi guaviter exercet, in eaque perficitur; et spe jam plenus atque integer viribus, cum pervenerit usque ad inimici dilectionem, ascendit in sextum gradum, ubi jam ipsum oculum purgat, quo videri Deus potest, quantum potest ab iis qui huic saeculo moriuntur quantum possunt. Nam in tantum vident, in quantum moriuntur huic saeculo; in quantum autem huic vivunt, non vident. Et ideo quamvis jam certior, et non solum tolerabilior, sed etiam jucundior species lucis illius incipiat apparere; in aenigmate adhuc tamen et per speculum videri dicitur 2, quia magis per fidem quam per speciem ambulatur, cum in hac vita peregrinamur 3, quamvis conversationem habeamus in coelis 4 In hoc autem gradu ita purgat oculum cordis, ut veritati ne ipsum quidem praeferat aut conferat proximum; ergo nec seipsum, quia nec illum quem diligit sicut seipsum. Erit ergo iste sanctus tam simplici corde atque mundato, ut neque hominibus placendi studio detorqueatur a vero, nec respectu devitandorum quorumlibet incommodorum suorum, quae adversantur huic vitae. Talis filius ascendit ad sapientiam, quae ultima et septima est, qua pacatus tranquillusque perfruitur. Initium enim sapientiae timor Domini 5. Ab illo enim usque ad ipsam per hos gradus tenditur, et venitur.


  1. Matth. XXII, 37 et 39 ↩

  2. I Cor. XIII, 12,  ↩

  3. II Cor. V, 6, 7  ↩

  4. Philipp. III, 20.  ↩

  5. Psal. CX, 10, et Eccli. I, 16 ↩

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