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Vier Bücher über die christliche Lehre (BKV)
14. Kapitel: Es gibt nicht bloß eine relative, sondern auch eine absolute Gerechtigkeit
22. Wenn ungelehrte Leute, die eine andere Lebensweise gewohnt sind, beim Lesen (der Heiligen Schrift) auf solche Taten stoßen, so halten sie dieselben für Schandtaten, wenn sie nicht durch eine höhere Autorität davon zurückgehalten werden. Sie können sich auch gar nicht vorstellen, daß ihr ganzes Verhalten bei ehelichen Verbindungen, bei Gastmählern, in ihrer Art sich zu kleiden und in ihrem ganzen übrigen Lebensbedarf und Unterhalt anderen Völkern und anderen Zeiten schändlich vorkommen kann. Wegen dieser bei unzähligen Gewohnheiten herrschenden Verschiedenheit haben einige Träumer, um mich so auszudrücken, die zwar nicht im tiefen Schlafe der Torheit schlummerten, aber auch nicht zum Lichte der Wahrheit aufzuwachen vermochten, geglaubt, es gebe keine Gerechtigkeit an sich, sondern es gelte eben einem jeden Volke seine Gewohnheit für gerecht: und da nun die Gewohnheit bei jedem Volke anders sei, die Gerechtigkeit aber unveränderlich bleiben müsse, so gebe es ganz offenbar auch nirgends eine wahre Gerechtigkeit. Diese Menschen wußten eben nicht, daß z. B., um nicht zu viel anzuführen, der Grundsatz: „Was du nicht willst, daß man dir tut, das füge auch keinem anderen zu1!“, durch keine Volksverschiedenheit verändert werden kann. Wird dieser Grundsatz auf die Liebe zu Gott bezogen, so ersterben alle Schandtaten; wird er auf die Liebe zum Nächsten bezogen, dann hören alle Übel auf. Denn niemand will, daß seine eigene Wohnung verderbt wird: daher darf er auch die Wohnung Gottes, nämlich sich selbst2, nicht verderben; und niemand will, daß ihm selbst Schaden zugefügt wird; daher darf er auch selbst niemandem schaden.
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De doctrina Christiana
CAPUT XIV.-- Error opinantium nullam esse justitiam per seipsam.
22. In quae facta legenda cum incurrunt indocti alterius consuetudinis, nisi auctoritate reprimantur, flagitia putant; nec possunt animadvertere totam conversationem suam, vel in conjugiis, vel in conviviis, vel in vestitu, caeteroque humano victu atque cultu, aliis gentibus et aliis temporibus flagitiosam videri. Qua varietate innumerabilium consuetudinum commoti quidam dormitantes, ut ita dicam, qui neque alto somno stultitiae sopiebantur, nec in sapientiae lucem poterant evigilare, putaverunt nullam esse justitiam per seipsam, sed unicuique genti consuetudinem suam justam videri: quae cum sit diversa omnibus gentibus, debeat autem incommutabilis manere justitia, fieri manifestum nullam usquam esse justitiam. Non intellexerunt, ne multa commemorem, Quod tibi fieri non vis, alii ne feceris 1, nullo modo posse ulla eorum gentili diversitate variari. Quae sententia cum refertur ad dilectionem Dei, omnia flagitia moriuntur; cum ad proximi, omnia facinora. Nemo enim vult corrumpi habitaculum suum: non ergo debet corrumpere habitaculum Dei, seipsum scilicet. Et nemo vult sibi a quoquam noceri: nec ipse igitur cuiquam nocuerit.
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Tobiae IV, 16; Matth. VII, 12 ↩