18. Kapitel: Manche Gebote der heiligen Schriften gelten nicht für alle Zeiten in gleicher Weise
26. Ebenso darf man auch das, was im Alten Testament nach der Lage jener Zeit nicht bloß im figürlichen, sondern sogar im eigentlichen Sinne keine Schandtat und keine Übeltat war, ja nicht auch in unserer Zeit für den Gebrauch des Lebens anwendbar erachten. Das könnte einer nur dann tun, wenn die Begierlichkeit herrscht und selbst den Schutz der Heiligen Schrift sucht, durch die sie ja eben ausgerottet werden soll. Der Unglückliche sieht nicht ein, daß solche Fälle zu dem praktischen Zweck überliefert sind, daß Menschen von guter Hoffnung zu ihrem Heil einerseits sehen, eine von ihnen verachtete Gewohnheit könne recht wohl mit einem guten Gebrauch verbunden sein, während andererseits die Gewohnheit, an der sie selbst hängen, verdammenswert sein kann: man braucht eben nur acht zu geben, daß sich die einen dort mit Liebe, die anderen hiermit sinnlicher Begierde ihrer Gewohnheit hingeben.
S. 13127. Denn wenn ein Mann zu seiner Zeit viele Frauen in Keuschheit gebrauchen kann, so kann ein anderer eine einzige Frau mit sinnlicher Lust gebrauchen. Ich billige es aber mehr, die Fruchtbarkeit vieler Frauen zu einem nicht selbstsüchtigen Zwecke zu gebrauchen, als das Fleisch einer einzigen um ihrer selbst willen. Denn im ersteren Falle strebt man nach einem für jene Zeiten angemessenen Nutzen, im zweiten Falle handelt es sich aber nur um die Befriedigung einer aufs irdische Vergnügen gerichteten Lust, Deshalb stehen jene, denen der Apostel1 wegen ihrer Unenthaltsamkeit den fleischlichen Verkehr mit einer Frau nachsichtig gestattet, auf einer tieferen Stufe des Weges zu Gott als jene, die trotz ihrer vielen Frauen mit der ehelichen Beiwohnung geradeso nur die Erzeugung von Kindern beabsichtigten, wie der vernünftige Mensch beim Genuß von Speise und Trank nur auf die Gesunderhaltung seines Leibes abzielt. Hätte die Ankunft des Herrn diese Männer noch am Leben getroffen, so hätten sie sich zu der Zeit, als es galt, nicht mehr Steine zu werfen, sondern zu sammeln2, um des himmlischen Reiches willen selbst ihrer Mannbarkeit entäußert. Denn im Entbehren liegt keine Schwierigkeit, solange mit dem Besitze keine Begierlichkeit verbunden ist. Jene Männer wußten ganz gut, daß auch im Verkehr mit Ehegatten ein Übermaß im Genusse Unzucht ist. Dies bezeugt die Rede des Tobias, als er seiner Gattin angetraut wurde; er sagt an jener Stelle: „Gepriesen seist du, o Herr, Gott unserer Väter, und gepriesen sei dein Name in alle Ewigkeit! Preisen sollen dich die Himmel und all deine Geschöpfe! Du hast den Adam erschaffen und gabst ihm die Eva zur Gehilfin. Und nun weißt du, o Herr, daß ich nicht der Wollust wegen meine Schwester (zur Frau) nehme, sondern in der Wahrheit, damit du dich unser erbarmest, o Herr3.“
