25. Kapitel: Auch wo ein Ausdruck bildlich gefaßt werden muß, darf man nicht mechanisch in einer Deutung vorgehen
Ist letzteres einmal ersichtlich, dann wird man finden, daß die Worte, in denen der figürliche Sinn enthalten ist, entweder von ähnlichen oder von naheliegenden Dingen hergenommen sind. (35.) Da jedoch Dinge einander in gar mannigfacher Beziehung ähnlich sind, so brauchen wir es durchaus nicht für ein unbedingtes Gesetz zu halten, daß etwa das, was es an einer bestimmten Stelle gleichnisweise bedeutet, nun immer bedeuten muß. So gebraucht z. B. der Herr den Ausdruck „Sauerteig“ als Tadel, wenn er sprach: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer1!“, während er ihn als Lob gebraucht an der Stelle: „Das Himmelreich ist gleich einem Weibe, das Sauerteig in drei Maß Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war2.“
36. Wir können eine doppelte Art dieser Verschiedenheit beobachten. Jedes Ding hat alle möglichen Bedeutungen, die bald etwas ganz Entgegengesetztes, bald wenigstens etwas Verschiedenes bezeichnen. Entgegengesetztes bedeutet es nämlich, wenn ein und dasselbe Ding bald im guten, bald im schlimmen Sinne steht, so wie wir oben bezüglich des Sauerteiges angegeben haben. Etwas Ähnliches ist es, wenn das Wort „Löwe“ bald Christus bedeutet, wie z. B. an der Stelle, wo es heißt: „Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamme Juda3“, während es andererseits auch den Teufel bedeutet an der S. 138Stelle: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann4.“ Auch das Wort „Schlange“ steht im guten Sinn in dem Ausdruck: „Klug wie die Schlangen5“, im schlechten aber an der Stelle: „Die Schlange verführte die Eva durch ihre Klugheit6.“ Im guten Sinn steht das Wort „Brot“, wenn es heißt: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist7“, im bösen aber in den Worten: „Ihr esset gerne verborgene Brote8.“ Und so gibt es noch viele ähnliche Fälle. Die von mir erwähnten Stellen haben durchaus keine zweifelhafte Bedeutung, weil ja nur ganz Offenkundiges beispielsweise erwähnt werden brauchte. Es gibt aber doch auch Ausdrücke, wo es unsicher ist, in welchem Sinne sie zu nehmen sind, wie z. B. die Worte: „Ein Becher ist in der Hand des Herrn mit Wein voll Würze9).“ Denn an dieser Stelle ist es unsicher, ob sie den Zorn Gottes bezeichnen soll, der noch nicht bis zur letzten Strafe, d. h. bis zur Hefe, geschritten ist, oder ob sie nicht vielmehr die Gnade der heiligen Schriften bezeichnen will, die von den Juden auf die Heiden überging. „Denn er neigte seinen Becher dahin und dorthin10“, indem die fleischlich schmeckenden Beobachtungen bei den Juden blieben, weil „seine Hefe nicht geleert wird11“. — Dafür aber, daß ein und dieselbe Sache nicht gerade etwas ganz Entgegengesetztes, sondern bloß etwas Verschiedenes bezeichnet, dient als Beleg, daß der Begriff „Wasser“ z. B. auch das Volk bedeutet, wie wir in der geheimen Offenbarung lesen12; es kann auch den Heiligen Geist bezeichnen, wenn es z. B. heißt: S. 139„Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Bauche fließen13,“ Selbstverständlich bedeutet der Begriff „Wasser“ auch noch manches andere, je nach den Stellen, wo es vorkommt.
Matth. 16, 6. ↩
Luk. 13, 21; Matth. 13, 33. — Bis zu dieser Stelle reicht der um das Jahr 396 veröffentlichte Teil dieses Werkes. Der Schluß stammt aus dem Jahre 426, wo Augustinus die Früchte seiner literarischen Tätigkeit einer Revision unterzog. Vgl. II. Retr. 4. ↩
Off. 5, 5. ↩
1 Petr. 5, 8. ↩
Matth. 10, 16. ↩
2 Kor. 11, 3. ↩
Joh. 6, 51. ↩
Sprichw. 9, 17 sagt das törichte Weib: „Die gestohlenen Wasser sind süßer, und ein verborgenes (= gestohlenes) Brot ist schmackhafter.“ ↩
Ps. 74, 9. ↩
Ebd. ↩
Ebd. ↩
Apok. 17, 15. ↩
Joh. 7, 38. ↩
