14. Kapitel: Ein bloß anmutiger Stil kann bedenklich werden
30. Auf diese Anmut (des Stiles) verwenden die Menschen soviel Mühe, damit so viele und große Übel und Schandtaten, die man nicht bloß nicht tun, sondern vielmehr fliehen und verabscheuen sollte, die aber gleichwohl bösen und schändlichen Menschen auf die beredteste Weise eingeredet wurden, gelesen würden, nicht zwar, um ihnen zuzustimmen, sondern nur, um sich daran zu ergötzen. Es bewahre aber Gott seine Kirche vor dem, was der Prophet Jeremias von der Synagoge der Juden mit folgenden Worten erwähnt: „Dinge zum Entsetzen und Schauder sind im Lande geschehen: die Propheten weissagten Ruchloses, und die Priester S. 188klatschten Beifall dazu mit ihren Händen und mein Volk hatte seine Freude daran. Und was werdet ihr erst noch in der Zukunft tun1?“ O Beredsamkeit! Je feiner, um so schrecklicher und je gediegener, um so heftiger! O Axt, die wahrhaft Felsen spaltet! Denn daß sein durch die heiligen Propheten gesprochenes Wort wirklich einer Axt ähnlich ist, das hat Gott selbst gerade durch diesen Propheten gesagt2. Ferne sei es daher, ja ferne sei es von uns, daß die Priester denen, die Ruchloses reden, mit den Händen Beifall klatschen und daß das Volk seine Freude daran hat. Ferne sei von uns, sage ich, ein solcher Wahnsinn! Denn was werden wir erst in der Zukunft tun? Und mögen unsere Worte auch weniger verstanden werden und mögen sie weniger gefallen und weniger rühren, so soll doch nur Wahres gesprochen und Gerechtes, nicht Ruchloses gerne gehört werden. Letzteres würde gewiß nicht geschehen, wenn es nicht auf anmutige Weise vorgebracht würde.
31. Bei einem ernsten Volk, von dem zu Gott gesprochen wurde: „Bei einem ernsten Volk werde ich dich loben3“, erregt nicht einmal jene Anmut Ergötzen, die nichts Ruchloses sagt, sondern die bloß kleine und hinfällige Güter mit so schäumendem Wortschwall schmückt, wie nicht einmal große und unvergängliche Güter bei gemessenem Anstand und Ernst geschmückt werden sollten. Etwas solches findet sich z. B. in einem Brief des höchst seligen Cyprian, was wohl nur deshalb zufällig oder absichtlich geschehen ist, um die Nachwelt zu überzeugen, wie sehr die gesunde christliche Lehre die Sprache von dieser Überfülle zurückgerufen und in die Schranken einer ernsteren und maßvolleren Beredsamkeit gewiesen hat. Ein Muster dieser Beredsamkeit liebt man in seinen folgenden Schriften ohne Gefahr, sucht es mit frommem Sinn nachzuahmen, kann es jedoch nur sehr schwer erreichen. Cyprian sagt also S. 189einmal irgendwo: „Laßt uns diesen Sitz hier aufsuchen; Abgeschiedenheit bietet die nahe Einsamkeit, wo das Laubdach eine Rebenhalle gebildet hat, indem die hinschlängelnden Reben in herabhängenden Verschlingungen an den lasttragenden Weinpfählen kriechen4.“ So kann man sich nur mit wundersam überreicher Wortfülle der Beredsamkeit ausdrücken, man erregt aber durch eine solche allzu große Wortfülle das Mißfallen ernster Männer. Wer für einen solchen Stil eine Vorliebe hat, der glaubt, daß jene, die sich einer anderen, knapper bemessenen Redeweise bedienen, nicht absichtlich jene Redeweise vermeiden, sondern überhaupt nicht so sprechen können. Daher hat jener heilige Mann gezeigt, er könne so sprechen, weil er wenigstens an einer Stelle tatsächlich so gesprochen hat, und er wolle nicht so sprechen, weil er sich später nirgends mehr so ausdrückt.
