16. Kapitel: Der christliche Redner darf sich natürlich nicht bloß auf den Gnadenbeistand Gottes verlassen
33. Wer aber behauptet, man dürfe den Menschen über Inhalt und Form der Rede keine Vorschrift machen, da es ja der Heilige Geist ist, der sie zu Lehrern macht, der kann geradeso gut auch sagen, man dürfe nicht beten, weil ja der Herr sagt: „Euer Vater weiß, was euch notwendig ist, noch bevor ihr ihn darum bittet1“, oder der Apostel Paulus habe dem Timotheus und Titus nicht vorschreiben dürfen, was und wie sie andern wieder vorschreiben sollten. Und doch muß der, dem das Amt eines Lehrers in der Kirche obliegt die an diese beiden Jünger gerichteten drei Briefe vor Augen haben. Liest man denn nicht im ersten Brief an S. 191Timotheus: „Solches kündige an und lehre2!“ Was aber damit gemeint ist, das ist schon früher gesagt. Heißt es nämlich nicht: „Einen älteren Mann fahre nicht an, sondern rede zu ihm, wie zu einem Vater3!“ Und wird ihm nicht im zweiten Brief gesagt: „Halte fest an dem Vorbild der gesunden Lehre, die du von mir gehört hast4!“ Wird ihm dort nicht gesagt: „Beeifere dich, vor Gott bewährt zu sein als ein Arbeiter, der sich nicht zu scheuen hat, der das Wort der Wahrheit rein und lauter ausspendet5.“ Dort finden sich auch die Worte: „Verkündige das Wort, halte die Leute an, ob es nun gelegen ist oder ungelegen, überführe, ermahne inständig, rüge mit aller Langmut und Belehrung6!“ Sagt er nicht ebenso im Briefe an Titus, ein Bischof müsse der Lehre gemäß am zuverlässigen Worte festhalten, damit er tüchtig sei, in der gesunden Lehre zu unterweisen und diejenigen, die dagegen reden, zu überführen7? Dort sagt er auch: „Du aber rede, was der gesunden Lehre geziemt, daß die älteren Männer nüchtern seien usw.8.“ Dort finden sich auch die Worte: „Solches lehre und schärfe ein und weise zurecht mit allem Ansehen! Keiner möge dich mißachten! Ermahne sie, den Fürsten und Obrigkeiten Untertan zu sein usw.9.“ Was sollen wir darum annehmen? Ist der Apostel mit sich selber im Widerspruch, wenn er einerseits sagt, man werde durch die Wirkung des Heiligen Geistes zu Lehrern gemacht10, und ihnen doch anderseits Inhalt und Form der Lehre vorschreibt? Oder ist es so zu verstehen, daß trotz der Gnadenmitteilung des Heiligen Geistes selbst bei der Belehrung der Lehrer auch menschliche Beihilfe fortwährend tätig sein muß und daß gleichwohl weder der etwas ist, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern nur Gott, der das Gedeihen gibt11? Daher lernt selbst durch Vermittlung heiliger Männer oder selbst durch die Tätigkeit der Engel niemand recht, was zum Leben mit Gott gehört, S. 192wenn er nicht für Gott gelehrig gemacht wird von Gott selbst, zu dem im Psalm gesprochen wird: „Lehre mich deinen Willen tun, denn du bist mein Gott12!“ Daher sagt auch der Apostel Paulus zu demselben Timotheus, obgleich er als Lehrer zum Schüler spricht: „Du aber beharre bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut worden ist, da du weißt, von wem du gelernt hast13!“ Die leiblichen Arzneimittel, wie sie Menschen einander reichen, nützen nur denen, welchen Gott die Gesundheit schenkt; Gott kann ja auch ohne Heilmittel Heilung schenken, während die Heilmittel ohne Gott keine Heilung vermitteln können; trotzdem werden sie angewendet: geschieht es in dienstfertiger Absicht, so wird dies (auch wenn sie nichts helfen) unter die Werke der Barmherzigkeit oder Wohltätigkeit gerechnet. Ebenso nützen auch die Heilmittel der Lehre, die durch Menschen der Seele gereicht werden, nur dann, wenn Gott ihren Nutzen bewirkt, der auch sein Evangelium dem Menschen nicht von Menschen noch auch durch einen Menschen (sondern nur durch den Gottmenschen Christus) geben konnte14.
