22. und 23. Kapitel: Von der Abwechslung in den einzelnen Stilgattungen: 22. Kap.
(51.) Niemand soll es nun für einen Verstoß gegen die Rhetorik halten, wenn man diese drei Stilgattungen miteinander vermischt, im Gegenteil: die Rede soll darin, soweit es angängig erscheint, einen Wechsel aufweisen. Denn wenn sie einmal in einem Stil zu lange fortgesponnen wird, dann fesselt sie den Zuhörer nicht mehr so stark; geht man aber von einem Stil zum andern über, so schreitet die Rede selbst bei längerer Dauer geziemend fort. Allerdings haben ja im mündlichen Vortrag die einzelnen Stilgattungen wohl ihre Schattierungen, welche die Aufmerksamkeit und Teilnahme der Zuhörer nicht ermatten oder erkalten lassen; aber gleichwohl läßt sich z. B. der niedere Stil für sich allein doch noch leichter ertragen als wie der erhabene. Denn je mehr wir die Gemütsbewegung des Zuhörers erregen müssen, um seine Zustimmung zu erlangen, um so weniger können wir ihn für längere Zeit darin festhalten, wenn sie bis zum höchstmöglichen Grad angespannt werden mußte. Darum haben wir zu besorgen, es möchte das, was wir durch Gefühlserregung bis zu einer gewissen Höhe gebracht haben, bei noch weiterer Anspannung wieder von seinem Höhepunkt herabsinken. Gibt es aber rednerische Zwischenteile, die im niederen Stil zu sprechen sind, so kann man (nach einiger Zeit) recht gut wieder auf solche Abschnitte zurückgreifen, die im erhabenen Stil gesprochen werden S. 214müssen, so daß der Strom der Rede wie die Meeresbrandung steigt und fällt. Das ist der Grund, weshalb der erhabene Redestil, wenn er für längere Zeit verwendet werden soll, nicht immer ein und derselbe bleiben darf, sondern durch (gelegentliche) Einschaltung eines anderen Stiles Abwechslung bekommen soll. Der Stilgattung nun, die dabei den größten Raum einnimmt, der wird dann die ganze Rede zugeteilt.
