24. Kapitel: Die Wirkung des erhabenen Stiles
53. Damit, daß der Redner durch häufige und laute Beifallsrufe unterbrochen wird, ist die Annahme, er habe nun wirklich erhaben gesprochen, noch keineswegs gerechtfertigt; denn diesen Erfolg bewirken schließlich auch die Feinheiten eines niedrigen oder der Schmuck eines gemäßigten Stils. Was aber wirklich eine erhabene Rede ist, das drückt viel eher durch sein Gewicht solche Zurufe nieder und preßt Tränen aus, Zu Cäsarea in Mauretanien bestand einmal ein Bürgerkampf, diese Bezeichnung reicht eigentlich gar nicht mehr aus, weil, wie man sagt, ein Haufe gegen den anderen stand. Nicht mehr bloß die Bürger an sich, sondern selbst Verwandte, Brüder, ja sogar Väter und Söhne waren in zwei Parteien geteilt und bekämpften sich zu bestimmten Zeiten des Jahres einige Tage hindurch mit Steinen, wobei jeder den tötete, den er konnte. (Als ich nun dem Volke daselbst diese Streitigkeiten abriet,) da sprach ich, so gut ich es vermochte, im erhabenen Stil, um ein so grausames und tief eingewurzeltes Übel aus ihren Herzen und Gebräuchen zu reißen und durch meine Rede ganz zu verdrängen. Solange ich nun bloß ihre Beifallsrufe hörte, glaubte ich noch nichts ausgerichtet zu haben, wohl aber als ich ihre Tränen sah. Durch ihre Zurufe gaben sie nämlich bloß zu erkennen, daß sie unterrichtet und ergötzt würden, durch ihre Tränen aber, daß sie gerührt seien. Sobald ich diese Zähren sah, war ich überzeugt, daß eine so unmenschliche, von den Vätern, Großvätern, ja seit alters von den Vorfahren ererbte Gewohnheit, die ihr Herz in feindlicher Weise umlagerte, ja schon förmlich ganz innehatte, nun vollständig besiegt sei, bevor sie ihre Versöhnlichkeit noch tatsächlich bewiesen. Da schloß ich meine Rede S. 216gar bald und lenkte Herz und Mund zum Dank gegen Gott. Und nun sind es schon fast acht, ja vielleicht noch mehr Jahre, seitdem daselbst durch Christi Gnade nichts Derartiges mehr versucht wurde. Es stehen mir übrigens noch viele andere Erfahrungen darüber zur Verfügung, daß die Leute den Eindruck einer erhabenen Rede eines weisen Mannes nicht durch Geschrei, sondern durch Seufzen, manchmal selbst durch Tränen, endlich durch Änderung ihres Lebenswandels kund gaben.
54. Auch durch die niedere Redensart sind ja schon gar manche bekehrt worden: das geschah aber immer so, daß sie nun etwas wußten, was ihnen bisher unbekannt war oder glaubten, was ihnen vorher unglaublich schien, nicht aber so, daß sie nun etwas taten, was sie bis dahin zwar schon als ihre Pflicht erkannten, gleichwohl aber noch nicht tun wollten: um einen derartig verhärteten Sinn zu brechen, muß man erhaben sprechen. Es können ja wohl auch Lob und Tadel, die dem gemäßigten Stil angehören, wenn sie aus beredtem Munde gespendet werden, auf den einen oder anderen einen solchen Eindruck machen, daß er sich bei Lob und Tadel nicht bloß über die schöne Rede freut, sondern daß er auch darnach strebt, lobwürdig zu leben und ein tadelnswertes Verhalten zu meiden. Aber ändern sich etwa alle, die ergötzt werden, ebenso sicher, wie bei der erhabenen Darstellung alle handeln, die gerührt werden, oder wie beim niederen Stil alle, die belehrt werden, wissen oder glauben, daß das wahr sei, was sie nicht wissen?
