25. Kapitel: Die Verwendung des gemäßigten Stiles
55. Für den also, der weise und beredt sprechen will, ist folgerichtig an den beiden zuletzt genannten Stilen vor allem der Umstand von notwendiger Bedeutung, daß ihre Absicht auf die Erreichung eines tatsächlichen Erfolges abzielt. Die Absicht des gemäßigten Stiles jedoch, durch die Rede bloß zu ergötzen, darf kein S. 217selbständiger Zweck des Redners werden; (sie ist nur gestattet,) damit nützliche und sittlich erlaubte Dinge infolge der in dar Rede liegenden Kraft der Ergötzung um so leichter und nachhaltiger Zustimmung finden; vorausgesetzt ist dabei, daß die Zuhörer der Belehrung oder der Rührung nicht mehr bedürfen, da sie die Dinge selbst schon kennen und ihnen nicht abgeneigt sind. Es ist überhaupt Pflicht der Beredsamkeit, in geeigneter Weise zum Zweck einer Überredung zu sprechen, ganz gleich, welcher von den drei genannten Stilgattungen sie sich nun bedient; das Ziel der Beredsamkeit ruht darin, durch das Reden zu der beabsichtigten Wirkung zu überreden; darum spricht der beredte Mann zwar an sich in jeder der drei Stilarten passend für diesen Zweck der Überredung: aber erst mit der Tatsache der Überredung hat er sein Ziel erreicht. Er überredet aber im niederen Stil, wenn er einen von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt; er überredet im erhabenen Stil, daß man das tut, was man als Pflicht erkennt und doch nicht vollführt; und er überredet im gemäßigten Stil, wenn er in schöner, zierlicher Rede darlegt, wozu uns etwas notwendig ist. Nach dem letzten Stil mögen jene streben, die sich einer blühenden Sprache rühmen dürfen und mit Festreden und ähnlichen Reden prunken, wo der Zuhörer weder belehrt noch zu einer bestimmten Tat veranlaßt, sondern bloß ergötzt werden soll. Wir aber wollen dieses Ziel anderswohin lenken und wollen die eigentlich dem erhabenen Stil vorbehaltene Absicht, nämlich Liebe zum Guten und Abscheu vor dem Bösen zu bewirken, auch durch den gemäßigten Stil erzielen. Dies wird uns dann gelingen, wenn die Menschen einer solchen Handlungsweise nicht so entfremdet sind, daß sie dazu durch den erhabenen Stil gedrängt werden müssen oder wenn sie das schon tun, was sie noch eifriger und unerschütterlicher tun sollten. Darum bedienen wir uns auch des gemäßigten Stiles nicht mit Prunksucht, sondern mit Klugheit; wir begnügen uns aber nicht mit seinem nächsten Ziel, der Ergötzung der Zuhörer, wir haben vielmehr die Absicht, dadurch dem Zuhörer zu dem Guten zu verhelfen, das wir ihm einreden wollen.
