23. Die verkehrte Selbstliebe
Ein großes Glück glaubt ein solcher Mensch erlangt zu haben, wenn er seine Herrschaft auch noch über Genossen, das heißt über andere Menschen, ausüben kann; denn dem lasterhaften Geist ist es angeboren, lieber das zu erstreben und als sein gutes Recht für sich zu beanspruchen, welches Recht eigentlich nur Gott allein zusteht. Eine solche Liebe aber heißt mit besserem Fug und Recht Haß. Denn es ist ja doch nicht recht, daß einer, der selbst dem Höherstehenden nicht gehorchen will, von einem ihm Untergeordneten Gehorsam verlangt. Darum heißt es ganz richtig: „Wer Ungerechtigkeit liebt, der haßt seine Seele1.“ Die Folge S. 31davon ist, daß dann die Seele schwach und von ihrem sterblichen Körper gequält wird. Denn die Seele muß ja ihren Leib lieben und muß durch sein Verderben beschwert werden. Unsterblichkeit und Unversehrtheit des Körpers hängen von der Gesundheit der Seele ab; das aber ist Gesundheit der Seele, wenn man mit ganzer Kraft am Vorzüglicheren, das heißt am unveränderlichen Gott hängt. Will der Mensch aber solche, die ihm von Natur aus gleich stehen, das heißt Menschen, beherrschen, so ist das ein durchaus unerträglicher Übermut.
Ps. 10, 6. ↩
