5. Kapitel: Zweideutigkeiten in der Auffassung einer Schriftstelle entstehen auch dadurch, daß man in übertragenem Sinn gebrauchte Ausdrücke nicht als solche erkennt
9. Aber die Zweideutigkeiten der übertragenen Worte, von denen wir nun zu reden haben, verlangen eine nicht gewöhnliche Sorgfalt und beharrliche Tätigkeit. Zunächst hat man sich davor zu hüten, eine bildliche Redeweise buchstäblich zu nehmen. Hierauf beziehen sich die Worte des Apostels: „Der Buchstabe tötet, der Geist belebt1“; denn es verrät fleischliche Weisheit, wenn ein figürlicher Ausdruck so genommen wird, als sei er wörtlich zu fassen. Und nichts kann man mit mehr Fug und Recht einen Seelentod heißen, als wenn man auch den Hauptvorzug, den der Mensch vor dem Tiere voraus hat, die Vernunft, durch einen Buchstabendienst dem Fleische unterwirft. Wer dem Buchstaben dient, der hält übertragene Worte für solche, die er wörtlich zu nehmen hat, und bezieht auch das, was mit eigentlichen Worten bezeichnet wird, nicht auf einen anderen Sinn, sondern wenn er z. B. das Wort „Sabbat“ hört, dann versteht er darunter gar nichts anderes als nur einen von den sieben aufeinanderfolgenden Tagen, und wenn er das Wort „Opfer“ hört, dann beschränkt sich sein Denken rein auf die Tätigkeit, die man eben mit Opfertieren und Feldfrüchten vorzunehmen pflegt. Das erst ist doch wirklich eine jämmerliche S. 117Geistesknechtschaft, wenn man am Buchstaben hängen bleibt, anstatt an der Sache selbst, und wenn man das Geistesauge nicht über den geschaffenen Körper hinweg zur Aufnahme des ewigen Lichtes erheben kann.
2 Kor. 3, 6. ↩
