11.
Die nämlich eine Rechtssache haben und beim Kaiser ein Gesuch einreichen wollen, suchen einen geübten Rechtskundigen, um sich von ihm die Bittschrift aufsetzen zu lassen, damit sie nicht etwa, wenn sie ihre Bitte in ungehöriger Weise vorbringen, nicht bloß nicht erlangen, um was sie bitten, sondern sogar noch eine Strafe bekommen statt eines günstigen Bescheides. Da also die Apostel zu bitten suchten und nicht wußten, wie sie den Kaiser d. i. Gott angehen sollten, sprachen sie zu Christus: „Herr, lehre uns beten“, d. h. du unser Rechtsrat und Beisitzer oder vielmehr Beisitzer Gottes, setze für uns Bitten auf. Und es lehrte sie der Herr nach dem Buche des himmlischen Rechtes, er lehrte sie, wie sie beten sollten, und in dem, was er lehrte, setzte er eine gewisse Bedingung: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“1. Wenn du nicht rechtmäßig bittest, wirst du als S. 121 Schuldiger dastehen. Zitterst du vor dem Kaiser, nachdem du als Schuldiger erwiesen bist? Bring das Opfer der Demut, bring das Opfer der Barmherzigkeit, sprich im Gebete: Vergib mir, weil auch ich vergebe. Aber wenn du es sagst, tu es auch! Denn was willst du tun, wohin willst du gehen, wenn du im Gebete gelogen hast? Nicht bloß wirst du, wie es bei Gericht heißt, der Wohltat eines Erlasses verlustig gehen, sondern du wirst überhaupt keinen Erlaß erlangen. Denn nach dem bei Gericht geltenden Rechte darf dem, der im Bittgesuch gelogen hat, das nicht zugute kommen, was er erlangt hat. Doch dies geschieht bei den Menschen, weil ein Mensch getäuscht werden kann; es konnte der Kaiser getäuscht werden, da du bei ihm das Bittgesuch einreichtest; denn du sagtest, was du wolltest, und dem du es sagtest, der weiß nicht, ob das wahr ist; er überließ dich dem Gegner zur Überführung, so daß du, wenn du vor dem Richter der Lüge überführt wirst (weil jener, nicht wissend, ob du gelogen hast, die Bitte nur gewähren konnte), gerade dort der Wohltat des Erlasses verlustig gehen wirst, wohin du den Erlaß gerichtet hast. Gott aber, der weiß, ob du lügst oder die Wahrheit sagst, benimmt sich nicht so, daß es dir bei Gericht nichts nütze, sondern er läßt dich gar nichts erlangen, weil du dich unterfangen hast, die Wahrheit anzulügen.
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Luk. 11, 1―4. ↩