12. Kap. Verhöhnung der Psychiker als Bauchdiener wegen eines Vorfalles, der sich mit einem Märtyrer bei der letzten Verfolgung zugetragen haben soll. S. 546
Ihr seid auch in dieser Hinsicht voll und satt zur Herrschaft eingegangen1; ihr fallt in keine Sünden, die man mit Fasten austreiben müßte; ihr habt keine Offenbarungen nötig, die man durch Xerophagien erzwingen muß; ihr fürchtet auch keine besonderen Anfechtungen, die man mit Hilfe von Stationsfasten durchkämpfen müßte. Gesetzt auch, der Paraklet sei von Johannes' Zeiten an verstummt, so würden wir selbst unsere eigenen Propheten vor allem zu dem Zweck geworden sein, ich sage bereits nicht, um den Zorn Gottes zu besänftigen, oder seinen Schutz und seine Gnade zu erlangen, sondern ich sage, um uns selbst gegen die letzten Zeiten zum voraus zu wappnen, indem wir uns jegliche Verdemütigung auferlegen, da man den Kerker ertragen lernen, sich auf Hunger und Durst einüben, an ein Leben unter Fasten und Ängsten sich gewöhnen muß. Auf diese Weise wird der Christ gleich so in den Kerker eintreten, wie er aus ihm heraustreten soll, als einer, der dort keine Strafe leiden, sondern nur eine Schule durchmachen, nicht die Foltern dieser Welt erdulden, sondern nur einen schuldigen Dienst verrichten soll, als einer, der um so zuversichtlicher aus dem Gefängnis zum Kampfe schreitet, da er schon ganz aufgebraucht ist und gar kein Fleisch mehr an sich hat, so daß die Folter kein Objekt mehr findet, indem er von bloßer und ausgetrockneter Haut wie mit einem Panzer umgeben und gegen die Krallen wie gehörnt ist, der sein Blut schon im voraus vergossen hat, als wäre es ein Hindernis für die Seele, die auch selbst sich schon beeilt, den Körper zu verlassen, da sie durch häufiges Fasten mit dem Tode schon ganz nahe Bekanntschaft gemacht hat.
Eure Mode ist es freilich, für unsichere Märtyrer in den Gefängnissen Garküchen zu errichten2, damit sie nicht aus der Gewohnheit kommen, des Lebens nicht überdrüssig werden und sich an der Disziplin der ihnen S. 547ungewohnten Entbehrungen nicht stoßen. Diese hatte auch jener euer neulicher3 Märtyrer, der nicht einmal Christ war, noch nicht einmal angerührt. Nachdem ihr ihn, den ihm bewilligten freien Gewahrsam4 benutzend, eine Zeitlang gemästet und durch alle möglichen Bäder, als wären sie besser wie die Taufe, durch alle Erholungsarten der feinen Welt, als wären dies die verborgenen Schätze der Kirche, und durch alle Reize des diesseitigen Lebens, als stände es über dem ewigen, nachdem ihr ihn durch all dieses, wie mir scheint, recht eingeweiht hattet, gabt ihr ihm, damit er kein Verlangen nach dem Tode bekomme, am letzten Tage, am Tage des Verhörs, in aller Frühe gewürzten Wein als Gegengift ein und schwächtet ihn damit so, daß er, als er nur mit ein paar Krallen etwas gekitzelt - soviel fühlte er noch in seiner Betrunkenheit - und vom Präsidenten gefragt wurde, welchen Herrn er bekenne, nicht mehr zu antworten imstande war, und darauf wegen seines Schweigens gefoltert, bloß zu schluchzen und zu stöhnen vermochte, und so über diesem Ableugnen hinstarb. Deshalb also sind die, welche die Schule der Mäßigkeit predigen, falsche Propheten, deshalb also sind die, welche sie beobachten, Häretiker! Was hindert euch also noch, den Paraklet, den ihr in Montanus leugnet, bei Apicius5 zu suchen.
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Vgl. 1 Kor. 4,8. ↩
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Man vergleiche dagegen, wie der Autor sich über die Gewohnheit der Christen, die Märtyrer im Gefängnis zu ernähren, ad mart. 1 ausgesprochen hat. ↩
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ille pristinus vester non Christianus matyr; pristinus wird in der Wiener Ausgabe und von Oehler irrigerweise, und ohne Analogie, als Personennamen gefaßt. Es bedeutet: euer neulicher, jüngster Märtyrer. Zum Vergleich verweise ich nur auf ad Scap. 3: pristina tonitrua. – non christianus wird hier dieser Märtyrer genannt, weil er, wie sich aus dem folgenden ergibt, noch nicht getauft, also nur Katechumen war. ↩
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Vgl. de pud. 22, S. 468 Anm. 2. ↩
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Apicius war Verfasser eines Kochbuches; Vgl. Apol. 3. ↩