7. Kap. Beispiele aus dem Alten Testament zum Beleg dafür, daß durch das Fasten die Gnade Gottes erlangt wird.
So sind wir denn nunmehr bereits bei den Beispielen angelangt, bei denen wir die Macht dieser Dienstleistung an dem hervorgebrachten Nutzen erwägen können, da sie sogar die Wiederaussöhnung des erzürnten Gottes mit dem Menschen bewirkt. Israel, das Samuel S. 533beim Wasserschöpfen zu Maspha versammelte, hatte gesündigt; aber es sühnte seine Sünde mit solcher Geschwindigkeit durch Fasten, daß es zugleich die Gefahr des Kampfes zerstreute1. Gerade als Samuel das Ganzopfer darbrachte - durch nichts wurde, wie wir erfahren, die Milde Gottes so sehr hervorgerufen, als durch die Enthaltsamkeit des Volkes - und als die Fremdlinge zur Schlacht heranrückten, da erscholl sofort der Donner des Herrn über dieselben mit lauter Stimme; sie gerieten in Verwirrung und Bestürzung vor dem Angesicht Israels; die Männer Israels rückten aus Maspha aus, verfolgten die Fremdlinge und schlugen sie bis Bethor, die Ungesättigten die Satten, die Unbewaffneten die Bewaffneten. Das ist die Stärke derer, die Gottes wegen fasten. Der Himmel streitet für sie. Da hast du eine Norm für die Erhaltung des Schutzes, die auch in den geistigen Kämpfen notwendig gilt2.
Ebenso als Sennacherib, der König der Assyrier, nach der Einnahme mehrerer Städte, Israel Lästerungen und Drohungen durch Rhapsakes entbot, war es nichts anderes, was ihn seinem Vorsatze entgegen nach Äthiopien trieb3. Was war es anders, was die 184.000 Mann von seinem Heere durch einen Engel wegraffte, als die Verdemütigung des Königs Ezechias? Nachdem diesem die Grausamkeit des Feindes berichtet war, zerriß er sein Kleid, zog einen Sack an und befahl durch Isaias den ältesten Priestern, in demselben Anzuge Gott anzugehen; Fasten begleitete natürlich die Gebete. Denn in der Gefahr nimmt man sich keine Zeit zum Essen, und im Bußsacke denkt man nicht an Sättigung. Immer ist Nichtessen im Gefolge der Trauer, so wie Lustigkeit sich zum Wohlleben hinzugesellt. Durch diese Folge S. 534der Trauer, nämlich durch das Fasten, wurde auch die sündige Stadt Ninive vom angedrohten Untergange befreit. Denn die Reue über die Verbrechen hatte ihr das Fasten dringend genug empfohlen, das drei Tage lang gehalten wurde, wobei auch das Vieh, obwohl ihm Gott nicht zürntet gequält wurde4. Sodoma und Gomorrha wären davongekommen, wenn sie gefastet hätten.
Dieses Hilfsmittel kannte auch Achab, Als ihn Elias nach seiner Übertretung, seinem Götzendienst und der Ermordung des Naboth, der wegen des Weinberges von Jezabel umgebracht worden war, zur Rede stellte: „Du hast gemordet und das Erbe in Besitz genommen. An dem Orte, wo die Hunde Naboths Blut geleckt haben, werden sie auch das deinige lecken“5 - da verdemütigte er sich selbst, hüllte seinen Leib in einen Sack, fastete und schlief auf einem Sacke. Da erging das Wort des Herrn an Elias: „Hast du wohl gesehen, wie Achab vor meinem Angesichte Ehrfurcht hatte. Deswegen, weil er mich gefürchtet hat, werde ich kein Unheil herbeiführen in seinen Tagen, sondern in den Tagen seines Sohnes werde ich es heraufführen“6, der nicht fastete. So ist das Fasten ein Werk der Ehrfurcht gegen Gott, durch welches auch Anna, die früher unfruchtbare Gattin des Elkana, ihre Bitten an Gott richtete, und mit Leichtigkeit erlangte, daß ihr von Speise freier Leib mit einem Sohne erfüllt wurde, der noch dazu ein Prophet war.
Allein nicht bloß eine Umkehrung der Natur7, Abwendung von Gefahren oder Vergebung für Vergehungen, sondern auch Erkenntnis der Geheimnisse wird das Fasten bei Gott verdienen. Schau hin auf das Beispiel Daniels. Das Traumgesicht des Königs setzt alle Weisen8 in Verwirrung; sie gestehen, daß durch menschliches Vermögen das darüber Hinausliegende9 nicht erkannt werden könne. Bloß Daniel, der auf Gott vertraut S. 535und weiß, was er zur Erwerbung der göttlichen Gnade tun muß, fordert einen Zeitraum von drei Tagen, fastet mit seinen Mitbrüdern und, nachdem er so seine Gebete verstärkt hat, wird er über den Verlauf und die Bedeutung des Traumgesichtes vollständig belehrt, die Weisen des Tyrannen werden verschont10, Gott verherrlicht, Daniel geehrt11. Auch später sollte er keine geringere Gnade von Gott empfangen, als er im ersten Jahre des Königs Darius in der Erinnerung an die von Jeremias verheißenen Zeiten sein Angesicht zu Gott wendete in Fasten, Sack und Asche. Der zu ihm entsandte Engel verkündete ihm gleich im Anfang den Beweggrund des göttlichen Erbarmens: „Ich bin gekommen“, sagte er, „dir zu zeigen, inwiefern du der Erbarmung wert bist“12, nämlich infolge des Fastens. Wie vor Gott des Erbarmens wert, wurde er den Löwen in der Grube furchtbar, wohin ihm, da er sechs Tage nichts zu essen hatte, der Engel die Mahlzeit brachte.
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Vgl. Kön 7,5 ff. ↩
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habes formam praesidii etiam spiritalibus bellis necessariam. Da „necessariam“ dasteht, ist die Übersetzung: „da hast du die Art und Weise des Schutzes, der auch in den geistigen Kämpfen notwendig ist“ unrichtig. forma ist hier, wie oft = Gesetz, Norm. Diese Norm, daß nämlich zu fasten ist, um den Schutz Gottes zu erlangen, ist auch in den geistigen Kämpfen notwendig zu beobachten. ↩
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Vgl. 4 Kön. 18,13 ff. ↩
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Vgl. Jon. 3,7 ff. ↩
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3 Kön. 21, 19. ↩
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3 Kön. 21,29. ↩
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nämlich, daß die früher Unfruchtbare einen Sohn empfing. ↩
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sophistae, nicht Sophisten, sondern die Weisen der Chaldäer. ↩
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Nach der Lesart ultra (nicht ultro) = das was über das menschliche Vermögen hinausgeht. ↩
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die schon zum Tode verurteilt waren. ↩
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Vgl. Dan. Kap. 2. ↩
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Ebd. 10,12. ↩