19. Kap. Die Schriften des Moses und ihr hohes Alter.
Das hohe Alter ist es also zunächst, was diesen Urkunden ihre Autorität verleiht. Auch bei euch verleiht es ja eine religiöse Weihe, wenn man Glaubwürdigkeit auf Grund der Zeit in Anspruch nehmen kann. Ansehen verleiht den Schriftstücken ein sehr hohes Alter. Der1 älteste Prophet war Moses. Er hat die Erschaffung der Welt, das Heranwachsen der Menschheit und sodann die Rache für die Gottlosigkeit jener Zeit, die gewaltige Sündflut, durch Sehergabe von der S. 92/438 Vergangenheit an bis zu seiner Lebenszeit dargestellt und darnach durch sein eigenes Wirken Vorbilder der Zukunft kundgemacht. Bei ihm ist auch die Aufeinanderfolge der Zeiten genau dargelegt und damit die Berechnung der Dauer der Welt an die Hand gegeben. Ungefähr dreihundert Jahre waren seit ihm vergangen, als Danaus, bei euch der älteste, nach Argos herüberkam. Dem trojanischen Kriege geht er tausend Jahre voraus, und deshalb auch dem Saturn selbst. Denn in dem Ge-schichtswerk des Thallus, worin der Krieg des Belus und der des Saturnus, der Könige der Assyrier und der Titanen, mit Jupiter berichtet wird, wird gezeigt, daß Belus dem Untergang von Troja dreihundertzweiundzwanzig Jahre vorausgegangen sei. Durch diesen Moses ist auch den Juden das ihnen eigene Gesetz von Gott gegeben worden. Darnach gab es viele andere Propheten, welche älter sind als eure Urkunden. Denn auch der, welcher zuletzt geweissagt hat, geht entweder um etwas voraus oder gehörte demselben Zeitalter an wie die ersten Weisen und Gesetzgeber, Denn Zacharias lebte unter der Regierung des Kyros und Darius zur Zeit als Thales, der erste Physiker, auf die Fragen des Krösus in Betreff der Gottheit nichts Bestimmtes antwortete, in Verwirrung nämlich gesetzt durch die Aussprüche der Propheten. Solon hat demselben Könige gepredigt, man müsse das Ende des langen Lebens im Auge behalten, nicht anders als die Propheten.
Man kann also in Betracht ziehen, daß sowohl euer Rechtswesen als auch eure Wissenschaften von dem göttlichen Gesetz und der göttlichen Lehre befruchtet worden sind. Was das Frühere ist, muß auch der Same sein. Von dorther habt ihr manches mit uns oder doch fast wie wir. Von der Sophia, der Weisheit, hat die Philosophie ihren Namen, von der Prophetie hat das Haschen nach derselben die poetische Weissagung abgeleitet. Ruhmsüchtige Menschen haben das, was sie vorfanden, gefälscht, um es dann als ihr Eigentum auszugeben. Auch bei den Früchten kommt es ja vor, daß sie entarten. Auf vielerlei Weise möchte ich noch für das Alter der göttlichen Schriften den Kampf führen, wenn nicht ihnen zum Erweis ihrer Glaubwürdigkeit ein S. 93/439 größeres Ansehen durch die Macht ihrer Wahrheit, als durch das Zeugnis ihres Alters verschafft würde. Denn was dürfte ihnen machtvoller zugute kommen, als das tägliche Gericht über die ganze Welt, wo die Lage der Reiche, die Unglücksfälle der Städte, die Schicksale der Völker und der Zustand der Zeiten in allem dem entsprechen, wie es vor tausend Jahren geweissagt wurde? Dadurch wird auch unsere Hoffnung, die ihr verlacht, belebt und unser Vertrauen, das ihr einen Wahn nennt, gekräftigt. Denn die Erwägung des Vergangenen ist geeignet, Vertrauen auf die Zukunft zu erwecken. Dieselben Aussprüche haben beides verkündigt, dieselben Schriften beides aufgezeichnet. Die Zeit ist bei ihnen nur eine, die bei uns. getrennt zu sein scheint. So ist alles, was noch Unerwiesenes übrig bleibt, für uns erwiesen, weil es mit dem, was bewährt ist, damals aber in der Zukunft lag, verkündet wurde. Soviel ich weiß, habt ihr auch eine Sibylle, insofern diese Benennung einer wahren Seherin des wahren Gottes hie und da in Bezug auf andere, die Sehergabe zu haben scheinen, gebraucht worden ist; so haben euere Sibyllen diesen Namen von der Wahrheit entwendet, wie es auch euere Götter getan haben2.
So wird denn der ganze Inhalt, werden alle Gegenstände, Ursprünge, Ordnungen und Quellen eines jeden eurer alten Schriftwerke, auch die meisten Völkerschaften und die berühmten Städte, die altersgrauen Geschichtserzählungen und Überlieferungen, sogar die Schriftzüge der Buchstaben, wodurch die Ereignisse gemeldet und aufbewahrt werden -- und, ich glaube, ich habe noch zu wenig gesagt -- selbst eure Götter, Tempel, Orakel und Opfer -- sie alle werden an Alter um Jahrhunderte durch die Schriftwerke eines einzigen Propheten übertroffen, worin wie in einem Schreine der Schatz der ganzen jüdischen und daher auch unserer Religionslehre niedergelegt ist. Moses, wenn ihr einstweilen von einem solchen Manne gehört habt, ist dem argivischen Inachus gleichzeitig; um fast vierhundert Jahre, nämlich nur sieben weniger, geht er selbst dem S. 94/440 Danaus, der bei euch als der älteste gilt, voraus, um etwa tausend geht er der Niederlage des Priamus vorher, und, da ich Gewährsleute dafür habe, kann ich sagen, auch um mehr als fünfhundert Jahre dem Homer. Wenn die übrigen Propheten auch nach Moses lebten, so werden doch die allerletzten von ihnen nicht jünger erfunden, als eure uralten Weisen, Gesetzgeber und Geschichtschreiber. Auseinanderzusetzen, durch welche Zeitrechnungen man das beweisen kann, ist für mich mehr weitläufig als schwierig, die genaue Aufzählung ist nicht sosehr mühevoll als vorläufig zu umständlich. Viele Hilfsmittel unter fortwährenden Fingerbewegungen beim Rechnen wären nötig, um es darzulegen3. Aufzuschließen wären die Archive der ältesten Völker, der Ägypter, Chaldäer, Phönizier; zu Hilfe zu nehmen wären ihre Landsleute, durch welche uns die Kenntnis davon vermittelt wird, Männer wie Manethon der Ägypter, Berosus der Chaldäer, aber auch der Phönizier Hieromus, König von Tyrus, sowie ihre Nachfolger Ptolemäus von Mendes, Menander von Ephesus, Demetrius Phalereus, der König Juba, Appion, Thallus und der Jude Josephus, der einheimische Verteidiger der jüdischen Altertümer, der die eben Genannten entweder bestätigt oder widerlegt. Auch die Bücher über die Urgeschichte der Griechen wären zu vergleichen, was geschehen, und wann es geschehen ist, damit die Verkettungen der Zeiten, durch welche die Jahreszahlen der Annalen Licht erhalten, aufgehellt werden. Man müßte die Geschichte und die Literatur des ganzen Erdkreises durchgehen, -- Indes, wir haben gleichsam einen Teil des Beweises schon beigebracht, indem wir einfließen ließen, woraus er geführt wird. Doch es ist besser, den Beweis aufzuschieben, damit wir nicht etwa einerseits in der Eile ihn zu wenig erschöpfen, oder andererseits zu weit abschweifen, indem wir ihn vertiefen.
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Hier beginnt das sog. Fragmentum Fuldense. Man kann, mit Sicherheit sagen, daß es ein Einschiebsel ist, da die Gedanken desselben später Apol. 19 u. 20 und zwar in knapperer und verfeinerter Form wiederkehren. Die Ansicht Harnacks (Chronol. II, 2662), das Fragment sei als ursprünglicher Bestandteil des ApoL anzuerkennen, ist deshalb nicht haltbar. Dagegen ist Harnack zuzustimmen, daß Inhalt und Stil unbedingt für die Autorschaft T. sprechen. Zwar sprechen sich andere (vgl. Rauschen S. 84) gegen die Autorschaft T. aus. Indes, wer die Autorschaft T. hinsichtlich des Fragmentes bestreitet, muß auch bestreiten, daß cap. 19 n. 20 des Apol. inhaltlich und vielfach auch stilistisch von T. kommen, oder behaupten, der Verfasser des Fragmentes habe T. und dessen Quelle Theophilus gekannt (vgl. Heinze 386 f.). Die letztere Annahme aber, die an sich schon wenig glaubwürdig ist, scheitert an dem Stil des Fragmentes. Sie erklärt auf keinen Fall, daß der Stil des Fragmentes durchweg echt tertullianisches Gepräge trägt, und zwar auch da, wo der Gedanke im Fragment anders ausgedrückt ist, wie im Apol. Andere halten das Fragment für eine Materialsammlung, die T. zum Zwecke der späteren Ausarbeitung anlegte. Da denkt man aber am besten an eine Arbeit, die T. für das 2. Buch ad nat. schrieb, wo er ja den positiven Beweis für die Wahrheit der christl. Religion in Aussicht stellt, ohne daß dieser Nachweis vorliegt. Daß die Schrift ad nat. nicht vollständig ist, ist anerkannt. Vielleicht ist sie uns aber nicht vollständig erhalten und hat das Fragment uns einen Teil des verloren gegangenen Abschnittes erhalten. Jedenfalls verhalten sich die Ausführungen Apol. 19 u. 20 zum Fragment wie die anderen Abschnitte des Apol. zu dem parallelen Material in ad nat. Auch der Stil des Fragmentes berührt sich aufs engste mit dem Stil in der Schrift an die Heiden. ↩
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Hier schließt das Fragment. ↩
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Nach der Lesart in F „asserendum est“, nicht adsidendum. ↩