2. Kap. Das von den Obrigkeiten gegen die Christen eingehaltene Verfahren verstößt gegen die Prozeßordnung und die Rechtsprinzipien.
Wenn es gewiß ist, daß wir so große Verbrecher sind, warum werden wir von euch anders behandelt als unseresgleichen, die übrigen Verbrecher? Es müßte bei gleicher Schuldbarkeit doch auch die gleiche Behandlung eintreten. Mögen wir nun auch immer gehalten werden, wofür man will -- wenn andere dafür gehalten werden, so bedienen sie sich der eigenen und bezahlten Verteidigungsrede, um ihre Unschuld zu beweisen; sie dürfen sich verantworten und für ihre Sache streiten, weil es ja durchaus nicht erlaubt ist, jemanden ohne Verteidigung und Verhör zu verurteilen. Den Christen allein erlaubt man nicht, die Aussagen zu machen, wodurch ihre Sache entlastet, die Wahrheit verteidigt und es dem Richter möglich gemacht wird, nicht ungerecht zu sein, sondern man wartet einzig auf das, was der allgemeine Haß für allein wesentlich hält, nämlich nicht auf die Untersuchung über das Verbrechen, sondern auf das Bekenntnis zu jenem Namen. Wenn ihr hingegen über irgendeinen Verbrecher zu erkennen habt, mag er sich auch -- um bei unsern Titulaturen zu bleiben -- zu der Schuldbezeichnung: Mörder, Religionsverbrecher, Blutschänder oder Hochverräter bekannt haben, so begenügt ihr euch nicht damit und sprecht ohne weiteres das Urteil, sondern ihr forscht auch nach den damit zusammenhängenden Dingen, nach der Beschaffenheit der Tat, nach Zahl, Ort, Zeit, Mitwissern und Mitschuldigen. In Betreff unser findet nichts derart statt, obwohl man bei den gegen uns erhobenen falschen Anschuldigungen es gerade so gut herauspressen müßte, wieviel Kindsmorde ein jeder schon hinuntergeschlungen habe, wie viele Mal er zur Blutschande dunkel gemacht, wer als S. 42/388 Koch und welche Hunde dabei gewesen seien. Welcher Ruhm wäre es für einen Präsidenten, einen ausfindig gemacht zu haben, der schon hundert Kinder gefressen hätte!
Im Gegenteil, wir finden, daß sogar das Nachforschen nach uns verboten ist. Als nämlich Plinius Secundus seine Provinz verwaltete und einige Christen verurteilt hatte, andere aber zu Falle gekommen waren1, fragte er, durch ihre Menge in Verlegenheit gesetzt, beim Kaiser Trajan an, was er in Zukunft tun solle, indem er beifügte, daß er außer dem Eigensinn, nicht opfern zu wollen, in Betreff ihres Religionswesens2 weiter nichts habe in Erfahrung bringen können, als Versammlungen, die zur Zeit der Morgendämmerung gehalten würden zu dem Zwecke, Christus als Gott Lob zu singen und die gemeinsame Sittenzucht zu befestigen, zufolge welcher Mord, Ehebruch, Betrug, Verrat und sonstige Verbrechen verboten seien. Da schrieb Trajan zurück, diese Art Leute sei nicht aufzusuchen, aber wenn sie angezeigt würden, zu bestrafen. Eine Entscheidung, die unvermeidlich verworren ausfallen mußte! Er sagt, wie bei Unschuldigen, man solle nicht auf sie fahnden, und befiehlt, sie doch, gleich Schuldigen, zu bestrafen! Er schont und wütet, er vertuscht und straft! Warum, o Zensur, umgarnst du dich selbst?3 Wenn du verdammst, warum läßest du nicht auch fahnden? Wenn du nicht fahnden läßest, warum sprichst du nicht auch frei? Zur Aufsuchung der Räuber wird in allen Provinzen eine Abteilung Soldaten beordert, gegen Majestätsverbrecher und Hochverräter wird jedermann zum Soldaten, bis auf die Helfer und Mitwisser wird die Nachsuchung ausgedehnt. Den Christen allein darf man nicht aufsuchen, wohl aber denunzieren, als ob die Aufsuchung etwas anderes bezweckte, als vor Gericht zu S. 43/389 stellen. Ihr verurteilt also den Denunzierten, den doch niemand aufgesucht wissen wollte. Die Strafe also, so muß ich denken, hat er nicht deswegen verdient, weil er schuldig ist, sondern weil er als ein solcher erfunden wurde, auf den man nicht fahnden darf4.
Aber auch in dem Punkte behandelt ihr uns nicht nach den Formalitäten des Kriminalprozesses, daß ihr bei andern Verbrechern, wenn sie leugnen, die Folter anwendet, um sie zum Geständnis zu bringen, bei den Christen allein aber dazu, damit sie leugnen. Und doch, läge ein Verbrechen vor, so würden wir ganz gewiß uns aufs Leugnen verlegen, ihr aber würdet bemüht sein, uns durch die Folter zum Geständnis zu bringen. Denn ihr könnt unmöglich der Ansicht sein, von dem peinlichen Verfahren zur Ermittlung der Verbrechen sei deshalb abzusehen, weil ihr der festen Überzeugung seid, daß sie infolge des Bekennens zu diesem Namen begangen werden, da ihr doch aus einem Mörder, der bekannt hat, obwohl ihr recht gut wisset, was ein Mord ist, trotzdem jeden Tag auch noch den Hergang des Verbrechens herauszubringen sucht. Um wieviel ungerechter handelt ihr nun, wenn ihr uns, bei denen ihr schon infolge des Bekennens zu jenem Namen das Vorhandensein von Verbrechen voraussetzt, durch die Folter zwingen wollt, von dem Bekenntnis abzulassen und so mit Verleugnung des Namens in gleicher Weise auch die Verbrechen abzuleugnen, die ihr wegen des bloßen Bekenntnisses zu jenem Namen schon als vorhanden voraussetztet.
Aber vielleicht, dünkt mich, ist es nicht euer Wille, daß wir, die ihr für die schlechtesten Menschen haltet, umkommen. Denn so pflegt ihr zum Mörder zu sagen: „Leugne“, vom Religionsverbrecher, er müsse zerfleischt werden, wenn er bei dem Bekenntnis verharrt5. Wenn ihr an Verbrechern nicht in dieser Weise handelt, so gebt ihr uns damit die Erklärung, daß wir unschuldig sind. Denn wie bei ganz Unschuldigen wollt ihr nicht, daß S. 44/390 wir in einem Bekenntnis verharren, welches ihr nicht aus gerechten Ursachen, sondern nur notgedrungen verurteilen zu müssen glaubt. Es ruft jemand aus: „Ich bin ein Christ!“ Er sagt, was er ist. Du -- willst hören, was er nicht ist. Ihr, die ihr als Vorsitzende bestellt seid, um die Wahrheit herauszubringen, von uns allein bemüht ihr euch Lügen zu hören. „Ich bin“, sagt jener, „das, wovon du erforschen willst, ob ich es bin. Was folterst du mich ungerechter Weise?6 Ich bekenne und du folterst mich?! Was hättest du also getan, wenn ich geleugnet hätte?“ Fürwahr! Wenn andere leugnen, so messet ihr ihnen nicht leicht Glauben bei; -- uns glaubt ihr, wenn wir geleugnet haben, sogleich.
Es sollte euch bei diesem völlig ungerechten Verfahren der Verdacht aufsteigen, ob nicht im geheimen irgendeine Macht7 verborgen liege, die euch gegen alle Form, gegen das Wesen des Gerichtsverfahrens, ja gegen die Gesetze selbst zu handeln treibt. Wenn ich nicht irre, so befehlen die Gesetze, die Übeltäter ans Licht zu bringen, nicht sie versteckt zu halten, und schreiben vor, die Geständigen zu bestrafen, nicht aber sie freizusprechen. Dies bestimmen die Senatsbeschlüsse, dies die Verordnungen der Kaiser. Unser Staatswesen, dessen Diener ihr seid, ist eine zivilisierte Regierungsform, keine Tyrannenherrschaft. Denn bei den Tyrannen wurde die Folter auch als Strafe angewandt, bei uns8 ist ihre Anwendung auf das Verhör beschränkt. Beobachtet nur in Bezug auf sie9 eure eigene, gesetzliche Vorschrift, wonach sie nur bis zum Geständnis notwendig ist. Kommt das Geständnis ihr zuvor, so wird sie unterbleiben; dann ist die Sentenz am Platze. An dem Schuldigen muß die verdiente Strafe vollzogen, er darf derselben nicht entzogen werden. Überhaupt wünscht S. 45/391 niemand dessen Freisprechung; es ist nicht einmal erlaubt, sie zu wünschen. Deshalb wird auch niemand zum Ableugnen gezwungen. Den Christen aber hält man für einen Menschen, der sämtlicher Verbrechen schuldig ist, für einen Feind der Götter, Kaiser, Gesetze, Sitten, ja der ganzen Natur und -- man zwingt ihn zu leugnen, um ihn dann frei zu sprechen, ihn, den man nicht würde freisprechen können, außer wenn er geleugnet hat! Man setzt sich über die Gesetze hinweg. Man will, daß er seine Schuld leugne, um ihn schuldlos zu machen, und zwar gegen seinen Willen und sogar auch noch hinsichtlich der Vergangenheit! Woher kommt eine solche große Verkehrtheit, daß ihr nicht einmal das bedenket, einem, der freiwillig bekennt, sei eher zu glauben, als einem, der gezwungen leugnet, und nicht befürchtet, ob nicht etwa, wer gezwungen ableugnet, ohne Überzeugung ableugne, freigesprochen auf der Stelle nach eurer Gerichtssitzung sich über euren Haß lustig macht und wieder Christ ist?
Da ihr mit uns also in allen Stücken anders verfahrt als mit den übrigen Verbrechern und nur das eine anstrebt, daß wir jenes Namens verlustig werden -- wir gehen desselben nämlich verlustig, wenn wir tun, was die Nichtchristen tun --, so könnt ihr daraus ersehen, daß kein Verbrechen zum Prozeß steht, sondern es sich um einen Namen handelt, welcher verfolgt wird durch ein gewisses, ihm feindselig entgegenwirkendes Prinzip10, das in erster Linie das bezweckt, daß die Leute nicht den Willen haben möchten, mit Gewißheit etwas zu erkennen, wovon sie mit Gewißheit erkennen, daß sie es nicht kennen. Daher glauben sie auch in Betreff unser Dinge, die nicht bewiesen werden, wollen von einer Nachforschung nichts wissen, damit nicht bewiesen werde, daß die Dinge gar nicht existieren, welche sie für glaublich zu halten belieben, und so wird der jener feindseligen Macht so verhaßte Name auf bloß S. 46/392 angenommene, nicht bewiesene Anschuldigungen hin, auf das bloße Bekennen zu ihm verurteilt. Deshalb werden wir gefoltert, obwohl wir bekennen, bestraft, wenn wir verharren, und freigesprochen, wenn wir ableugnen, weil es ein „Krieg gegen den Namen“ ist. Zum Schluß endlich11, weshalb laßt ihr von der Schuldtafel ablesen12, der N. N. sei ein Christ? Warum nicht auch, er sei ein Mörder, wenn der Christ ein Mörder ist? Warum nicht auch, er sei ein Blutschänder und das, was ihr sonst von uns noch glaubt? Bei uns allein schämet und scheut ihr euch, die Verbrechen mit ihrem Namen (im Schuldprotokoll) öffentlich bekannt zu machen. Wenn das Wort „Christ“ kein Name für irgendein Verbrechen ist, so ist es höchst albern, wenn es „das Verbrechen des bloßen Namens“ ist13.
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quibusdam de gradu pulsis (so ist mit F zu lesen) wird unrichtig übersetzt „andere aber aus ihrem Range ausgestoßen waren“; vgl. Heinze, Tert. Apologetikum. Verh. d. Sächs. Ges. d. Wissensch. phil. hist. Klasse 62. Bd. 10. H. 1910, 3011. ↩
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Die Lesart in F sacramento verdient entschieden den Vorzug. ↩
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censura ist personifiziert, wie edictum de pud. 1. ↩
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So glaube ich „quia non requirendus inventus est“ übersetzen zu müssen. Die Übersetzung „weil er, obschon nicht aufzusuchen, doch zufällig gefunden wurde“ trifft nicht den pointierten sarkastischen Sinn. ↩
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Der Satz ist ironisch. ↩
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in perversum stellt für das Adverb, wie in vacuum, in vanum = frustra steht. ↩
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T. meint die Dämonen vgl. ad nat. I, 3 (62/11) quaedam occulta vis. ↩
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Statt „apud vos“ ist wohl „apud nos“ im Gegensatz zu „apud tyrannos“ zu lesen. ↩
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Nämlich in Bezug auf die Anwendung der Folter. Mit F ist zu lesen: Vestram illis (sc. tormentis) servate legem usque ad confessionem necessariis (nicht necessariam). ↩
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quaedam ratio aemulae operationis; gemeint sind die Dämonen; vgl. cap, 21 am Schluß, cap. 27 Spiritus daemonicae … paraturae, qui noster ob divortium aemulus, cap, 47 operantibus aemulationem istam spiritibus erroris, und öfters in den Schriften T. ↩
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Was die Art des Prozesses beweist, bestätigt die Form der Urteilsverkündigung. Nur als Christ, nicht als Mörder, Blutschänder usw. wurde der Verurteilte bezeichnet. ↩
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Der Name des Schuldigen und sein Verbrechen würden von einer Tafel abgelesen. ↩
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Die Lesart in F Christianus si nullius criminis nomen est, valde ineptum si solius nominis crimen est bringt zweifellos den Text so wie ihn T. geschrieben hat. Es ist dieselbe, nur feiner pointierte Antithese wie ad nat. I, 3 (63/9): nullum criminis nomen exstat, nisi nominis crimen est. T. denkt an die Schuldtafel, auf der bloß stand: N. N. Christianus, und will sagen: Wenn ihr kein Verbrechen namhaft machen und auf die Tafel schreiben könnt, so handelt ihr höchst töricht, wenn ihr das Verbrechen einzig im Namen bestehen laßt. -- Der Text in P, der keinen Sinn gibt und stets als eine crux interpretum galt, durfte F gegenüber nicht verteidigt werden. Die unglückliche Verteidigung bei Schrörs 82 f. ist nur ein Beweis dafür, daß er nicht verteidigt werden kann. Wie dieser verderbte Text wahrscheinlich entstanden ist, siehe Räuschen, 19. ↩