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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
15. Gerecht war die Vergeltung, die den ersten Menschen für ihren Ungehorsam zuteil ward.
Verachtet also ward Gott in seinem Gebote, er, der den Menschen erschaffen, nach seinem Ebenbild ihn Band 16, S. 776gemacht, ihn höher gestellt als die übrigen Lebewesen, im Paradiese ihm die Wohnung angewiesen, ihm die Fülle aller Dinge und des Wohlseins verliehen und ihn nicht etwa mit zahlreichen oder ungeheuerlichen oder schwierigen Geboten beladen, sondern ihm lediglich mit einem ganz einfachen und leichten Gebot unter die Arme gegriffen hatte zu heilsamem Gehorsam, das Geschöpf, dem freiwillige Unterwürfigkeit zum besten gereichen sollte, dadurch erinnernd, daß er der Herr sei. Und so folgte die gerechte Verurteilung auf dem Fuße, und zwar eine Verurteilung dazu, daß der Mensch, der bei Beobachtung des Gebotes auch dem Fleische nach hätte geistig werden sollen, nun selbst dem Geiste nach fleischlich wurde und er, der in seinem Eigendünkel an sich selber Gefallen gefunden hatte, durch Gottes Gerechtigkeit nun auch sich selber überlassen wurde; aber nicht so, daß er in jeder Hinsicht sein eigener Herr sein, sich in voller Gewalt haben sollte, vielmehr so, daß er, zwiespältig in sich selbst, dem verknechtet, mit dem er durch sein Sündigen gleichen Sinnes geworden ist, statt der begehrten Freiheit eine harte und elende Knechtschaft zu leisten hatte, dem Geiste nach freiwillig tot und nun dem Leibe nach wider Willen sterblich, als Verächter des ewigen Lebens nun auch zu ewigem Tode verurteilt, wenn nicht die Gnade erlösend wirkte. Wen diese Strafe zu schwer oder ungerecht dünkt, der weiß eben die Größe der Bosheit nicht zu ermessen, die im Sündigen lag, wo das Meiden der Sünde so leicht gemacht war. Wie Abrahams Gehorsam mit vollem Recht als groß gerühmt wird, weil ihm ein so schwerer Auftrag zuteil ward, nämlich seinen Sohn zu töten1, so war im Paradies der Ungehorsam um so größer, als das, was befohlen war, keinerlei Schwierigkeit darbot. Und wie der Gehorsam des zweiten Menschen um so preiswürdiger ist, als er gehorsam ward bis zum Tode2, so ist der Ungehorsam des ersten Menschen um so verwerflicher, als er ungehorsam ward bis zum Tode. Denn wo schwere Strafe auf den Ungehorsam gesetzt und vom Band 16, S. 777Schöpfer etwas Leichtes anbefohlen ist, da läßt sich die Größe der Bosheit gar nicht schildern, die darin liegt, in einer leichten Sache dem Gebot einer so erhabenen Macht angesichts einer so furchtbaren Strafe nicht zu gehorchen.
Übrigens, um es kurz zu sagen, ist in der Strafe für jene Sünde lediglich Ungehorsam mit Ungehorsam vergolten worden. Das ganze Elend des Menschen besteht ja nur in dem Ungehorsam seiner selbst gegen sich selbst: er wollte nicht, was er konnte, und nun will er, was er nicht kann. Freilich konnte er im Paradies vor der Sünde nicht gar alles, aber was er nicht konnte, wollte er auch nicht, und so konnte er in der Tat alles, was er wollte; jetzt aber „ist der Mensch“, wie wir an der Nachkommenschaft Adams sehen und die Heilige Schrift3 es bezeugt, „der Nichtigkeit gleich geworden“. Unzähliges will er, was er nicht kann, weil er sich selbst nicht gehorcht, d. h. weil seinem Willen sein Geist und das unter diesem stehende Fleisch nicht gehorcht. Wider Willen zumeist regt sich sein Geist auf, leidet und altert und stirbt sein Fleisch und erdulden wir noch eine Reihe von Dingen, die alle wir nicht zu erdulden hätten wider Willen, wenn unserm Willen unsere eigene Natur in jeder Weise und in allen Teilen gehorchte. Man wendet freilich ein, nur der Körper sei Träger des Leidens und dadurch verhindert, seinen Dienst zu versehen4. Aber es ist gleichgültig, woher der Aufruhr kommt; die Sache steht eben doch so, daß durch die Gerechtigkeit des allwaltenden Gottes, dem wir nicht in Unterwürfigkeit dienen wollten, unser Fleisch, das unterwürfig war, uns durch Versagung des Dienstes lästig ist, obgleich wir unsererseits durch Versagung unseres Dienstes Gott nicht lästig werden konnten, sondern nur uns. Denn wir bedürfen allerdings des Dienstes unseres Leibes, aber Gott bedarf nicht unseres Dienstes, und deshalb ist, was wir erdulden, eine Strafe für uns, nicht Band 16, S. 778aber, was wir getan, eine Strafe für Gott. Und übrigens sind die sogenannten leiblichen Schmerzen eigentlich Schmerzen der Seele im Leibe und infolge der Leiblichkeit. Der Leib an sich ohne Seele fühlt weder Schmerz noch Begier5. Vielmehr ist Träger des Begehrens oder des Leidens, das dem Leibe zugeschrieben wird, entweder der Mensch selbst, wie wir erörtert haben, oder irgendetwas in der Seele, worauf der Zustand des Fleisches einwirkt, der entweder ein widriger ist und dann Schmerz erzeugt, oder ein angenehmer und dann Lust erweckt. Jedoch leiblicher Schmerz ist lediglich Beschwernis der Seele infolge des Fleisches und Widerwille der Seele gegen dessen Leiden, wie Seelenschmerz, den man Traurigkeit nennt, Widerwille ist gegen Dinge, die uns gegen unsern Willen zustoßen. Indes der Traurigkeit geht in der Regel Furcht vorher, die wiederum ihren Sitz in der Seele hat, nicht im Fleische. Dagegen leiblichem Schmerz geht nicht etwas wie leibliche Furcht vorher, die man im Fleische fühlte vor dem Schmerz. Wohl aber geht der Lust eine Art Verlangen vorher, das man im Fleische fühlt sozusagen als dessen Begehren, wie Hunger und Durst und das, was man in geschlechtlichen Dingen Lust [libido]nennt, obgleich dies das Wort für Begierde ganz allgemein ist. Wie denn die Alten6 auch den Begriff Zorn bestimmt haben als Lust sich zu rächen, obwohl zuweilen der Mensch auch auf leblose Dinge, bei denen doch keine Empfindung für Rache vorhanden ist, einen Zorn hat und etwa im Zorn einen schlecht schreibenden Griffel zerschlägt oder ein Schreibrohr zerbricht. Immerhin ist auch das etwas wie Rachelust, wenn auch eine ziemlich sinnlose, und nach einer Art, wie soll ich sagen, Aftervergeltung sollen dabei die Übeltäter Übles erfahren. Rachelust also ist das, was man Zorn heißt; Lust Geld zu haben, was man Habsucht, Lust um jeden Preis Recht zu behalten, was man Starrköpfigkeit, Lust sich zu rühmen, was man Prahlerei nennt. Und so gibt es viele und mannigfache Lüste, und manche davon haben auch ihren eigenen Band 16, S. 779Namen, andere wieder nicht. Zum Beispiel würde man sich schwer tun, die Herrschlust mit einem Sonderausdruck zu benennen, die aber gleichwohl über tyrannische Gemüter eine verhängnisvolle Macht hat, wofür nichts Geringeres als die Bürgerkriege zeugen.
Edition
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De civitate Dei (CCSL)
Caput XV: De iustitia retributionis, quam primi homines pro sua inoboedientia receperunt.
Quia ergo contemptus est deus iubens, quia creauerat, qui ad suam imaginem fecerat, qui ceteris animalibus praeposuerat, qui in paradiso constituerat, qui rerum omnium copiam salutisque praestiterat, qui praeceptis nec pluribus nec grandibus nec difficilibus onerauerat, sed uno breuissimo atque leuissimo ad oboedientiae salubritatem adminiculauerat, quo eam creaturam, cui libera seruitus expediret, se esse dominum commonebat: iusta damnatio subsecuta est, talisque damnatio, ut homo, qui custodiendo mandatum futurus fuerat etiam carne spiritalis, fieret etiam mente carnalis et, qui sua superbia sibi placuerat, dei iustitia sibi donaretur; nec sic, ut in sua esset omnimodis potestate, sed a se ipse quoque dissentiens sub illo, cui peccando consensit, pro libertate, quam concupiuit, duram miseramque ageret seruitutem, mortuus spiritu uolens et corpore moriturus inuitus, desertor aeternae uitae etiam aeterna, nisi gratia liberaret, morte damnatus. quisquis huiusmodi damnationem uel nimiam uel iniustam putat, metiri profecto nescit, quanta fuerit iniquitas in peccando, ubi tanta erat non peccandi facilitas. sicut enim Abrahae non inmerito magna oboedientia praedicatur, quia, ut occideret filium, res difficillima est imperata: ita in paradiso tanto maior inoboedientia fuit, quanto id, quod praeceptum est, nullius difficultatis fuit. et sicut oboedientia secundi hominis eo praedicabilior, quo factus est oboediens usque ad mortem: ita inoboedientia primi hominis eo detestabilior, quo factus est inoboediens usque ad mortem. ubi enim magna est inoboedientiae poena proposita et res a creatore facilis imperata, quisnam satis explicet, quantum malum sit non oboedire in re facili et tantae potestatis imperio et tanto terrente supplicio? denique, ut breuiter dicatur, in illius peccati poena quid inoboedientiae nisi inoboedientia retributa est? nam quae hominis est alia miseria nisi aduersus eum ipsum inoboedientia eius ipsius, ut, quoniam noluit quod potuit, quod non potest uelit? in paradiso enim etiamsi non omnia poterat ante peccatum, quidquid tamen non poterat, non uolebat, et ideo poterat omnia quae uolebat; nunc uero sicut in eius stirpe cognoscimus et diuina scriptura testatur: homo uanitati similis factus est. quis enim enumerat, quam multa quae non potest uelit, dum sibi ipse, id est uoluntati eius ipse animus eius eoque inferior caro eius, non obtemperat? ipso namque inuito et animus plerumque turbatur et caro dolet et ueterescit et moritur, et quidquid aliud patimur, quod non pateremur inuiti, si uoluntati nostrae nostra natura omni modo atque ex omnibus partibus oboediret. at enim aliquid caro patitur, quo seruire non sinitur. quid interest unde, dum tamen per iustitiam dominantis dei, cui subditi seruire noluimus, caro nostra nobis, quae subdita fuerat, non seruiendo molesta sit, quamuis nos deo non seruiendo molesti nobis potuerimus esse, non illi? neque enim sic ille nostro, ut nos seruitio corporis indigemus, et ideo nostra est quod recipimus, non illius poena quod fecimus. dolores porro, qui dicuntur carnis, animae sunt in carne et ex carne. quid enim caro per se ipsam sine anima uel dolet uel concupiscit? sed quod concupiscere caro dicitur uel dolere, aut ipse homo est, sicut disseruimus, aut aliquid animae, quod carnis adficit passio, uel aspera, ut faciat dolorem, uel lenis, ut uoluptatem. sed dolor carnis tantummodo offensio est animae ex carne et quaedam ab eius passione dissensio, sicut animi dolor, quae tristitia nuncupatur, dissensio est ab his rebus, quae nobis nolentibus acciderunt. sed tristitiam plerumque praecedit metus, qui et ipse in anima est, non in carne. dolorem autem carnis non praecedit ullus quasi metus carnis, qui ante dolorem in carne sentiatur. uoluptatem uero praecedit adpetitus quidam, qui sentitur in carne quasi cupiditas eius, sicut fames et sitis et ea, quae in genitalibus usitatius libido nominatur, cum hoc sit generale uocabulum omnis cupiditatis. nam et ipsam iram nihil aliud esse quam ulciscendi libidinem ueteres definierunt; quamuis nonnumquam homo, ubi uindictae nullus est sensus, etiam rebus inanimis irascatur, et male scribentem stilum conlidat uel calamum frangat iratus. uerum et ista licet inrationabilior, tamen quaedam ulciscendi libido est, ut nescio qua, ut ita dixerim, quasi umbra retributionis, ut qui male faciunt, mala patiantur. est igitur libido ulciscendi, quae ira dicitur; est libido habendi pecuniam, quae auaritia; est libido quomodocumque uincendi, quae peruicacia; est libido gloriandi, quae iactantia nuncupatur. sunt multae uariaeque libidines, quarum nonnullae habent etiam uocabula propria, quaedam uero non habent. quis enim facile dixerit, quid uocetur libido dominandi, quam tamen plurimum ualere in tyrannorum animis etiam ciuilia bella testantur?