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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
23. Über die Frage, ob es auch im Paradiese zur Zeugung hätte kommen müssen, wenn niemand gesündigt hätte, und ob dort die Keuschheit den Kampf wider das Feuer der Begierde aufzunehmen gehabt hätte.
Wollte man aber annehmen, die ersten Menschen hätten sich nicht zusammengetan und gezeugt, wenn sie nicht gesündigt hätten, so hieße das behaupten, daß zur Erfüllung der Zahl der Heiligen die Sünde des Menschen notwendig gewesen sei. Denn wären sie ohne das Dazwischentreten der Sünde allein geblieben, wie doch jene Annahme verlangt, die die Möglichkeit der Zeugung von der vorgängigen Sünde abhängig sein läßt, so war die Sünde in der Tat notwendig, sollte es nicht bloß zwei, sondern viele gerechte Menschen geben. Das ist ungereimt, und so hat man vielmehr anzunehmen, daß, auch wenn niemand gesündigt hätte, die Zahl der Heiligen, die nötig ist zur Vollzahl der Bürger des Gottesstaates, so groß geworden wäre, wie sie sich nun aus der Menge der Sünder durch Gottes Gnade ansammelt, solang Kinder dieser Welt zeugen und gezeugt werden.
Demnach hätte jene Ehe, würdig des Paradiesesglückes, wäre die Sünde nicht eingetreten, gleichwohl teure Nachkommenschaft gezeugt, jedoch ohne dabei beschämende Lust zu empfinden. Wie das möglich gewesen, ist hier nicht der Ort, an einem Beispiel zu zeigen. Aber deshalb braucht es nicht unglaublich zu erscheinen, daß dem Willen, dem so viele Glieder auch jetzt noch dienstbar sind, jenes eine Glied ebenfalls ohne Band 16, S. 790geschlechtliche Lust hätte dienstbar sein können. Oder sollten wir zwar Hände und Füße nach Belieben des Willens in Bewegung setzen zu den diesen Gliedern obliegenden Werken, und das ohne alle Weigerung, mit einer Leichtigkeit, wie sie uns aus Erfahrung und Beobachtung bekannt ist, vorab bei aller Art von körperlicher Arbeit, wo der natürlichen Schwäche und Ungelenkigkeit behende Übungsfertigkeit nachhilft, dagegen uns wider die Annahme sträuben, daß die Zeugungsglieder gerade so gut wie die übrigen Glieder den Menschen auf einen Wink des Willens hin in Gehorsam hätten dienstbar sein können zum Werk der Kindererzeugung, wenn die Lust nicht eingetreten wäre als Vergeltung für die Sünde des Ungehorsams? Sagt doch Cicero in seinem Werk über den Staat, da wo er sich über den Unterschied der Regierungen äußert und ein Gleichnis hierfür dem Gebiete der Menschennatur entnimmt, man regiere die Glieder des Leibes wie Kinder wegen der Leichtigkeit, womit sie gehorchen, dagegen die fehlerhaften Teile des Geistes würden durch ein rauheres Regiment wie Sklaven gebändigt. Und gewiß hat der Geist nach der natürlichen Ordnung den Vorrang vor dem Leibe, obwohl er leichter den Leib als sich selbst beherrscht. Die Lust jedoch, von der wir hier sprechen, ist eben deshalb um so beschämender, weil ihr gegenüber der Geist weder sich selbst so wirksam beherrscht, daß sie sich überhaupt nicht einstellte, noch auch den Leib so vollkommen, daß statt der Lust der Wille die Schamglieder erregte; wäre dem so, dann wären sie ja nicht Gegenstand der Scham. So aber schämt sich der Geist, daß sich ihm der Leib widersetzt, der ihm doch ob seines tiefer stehenden Wesens unterworfen ist. Wenn bei anderen Leidenschaften der Geist in Widerspruch tritt mit sich, schämt er sich deshalb weniger, weil er da höchstens sich selbst unterliegt; denn wenn eine solche Niederlage auch wider die Ordnung und sündhaft ist, weil sie dem Geiste beigebracht wird von den Teilen, die sich der Vernunft unterwerfen sollten, so wird sie ihm doch von seinen eigenen Teilen und demnach, wie gesagt, von sich selbst bereitet. Bleibt nämlich der Geist ordnungsgemäß Sieger, in der Weise, Band 16, S. 791daß sich die unvernünftigen Regungen dem Geist und der Vernunft unterordnen, so ist das preiswert und tugendhaft, wofern freilich Geist und Vernunft Gott untergeordnet sind. Aber wenn der Geist in seinen fehlerhaften Teilen gegen sich selbst ungehorsam ist, so schämt er sich doch eben nicht so sehr, als wenn seinem Willen und Befehl der Leib sich nicht fügt, der von ihm verschieden ist und unter ihm steht und dessen Natur aus ihm ihr Leben hat.
Behauptet indes der Wille die Herrschaft über jene anderen Glieder, deren Beihilfe die gegen den Willen durch die Lust gereizten Glieder in Anspruch nehmen müssen, um ihr Verlangen stillen zu können, so wird die Schamhaftigkeit bewahrt, ohne daß darüber freilich der Reiz der Sünde sich verlöre, der eben nur nicht verstattet wird. Ohne Zweifel, im Paradies, wäre nicht über die Schuld des Ungehorsams die Strafe des Ungehorsams verhängt worden, hätte das Beilager diese Widersetzlichkeit, diesen Widerspruch, diesen Kampf zwischen dem Willen und der Lust, um nur überhaupt den Willen durchzusetzen und die Lust auf sich selbst zu beschränken, nicht gekannt, vielmehr wären dort alle Glieder ohne Ausnahme dem Willen dienstbar gewesen. Es würde das Zeugungsgefilde1 von dem hierzu erschaffenen Glied so angesäet worden sein, wie jetzt der Acker von der Hand des Säenden; und wenn jetzt die Scham sich mir widersetzt, da ich tiefer in diesen Gegenstand eindringen wollte, und mich nötigt, bei züchtigen Ohren durch ein vorausgeschicktes „mit Achtung zu sagen“ um Nachsicht zu bitten, so wäre dazu alsdann kein Grund vorhanden, vielmehr könnte sich die Rede frei und ohne alle Furcht vor Anstößigkeit über alles verbreiten, worauf das Nachdenken über diese Glieder führen würde, ja es gäbe überhaupt keine Wörter, die man anstößig hieße, sondern man könnte über diese Dinge sagen, was man wollte, es wäre immer so anständig, als wenn wir von anderen Körperteilen reden. Wer also an diese unsere Ausführungen mit unzüchtiger Gesinnung herantritt, der möge seine Schuld, nicht aber die Natur Band 16, S. 792verabscheuen, die Wirkungen seiner Schamlosigkeit brandmarken und nicht die Worte, die wir nicht umgehen können. Der züchtige und gottselige Leser oder Hörer wird mir darin leicht Nachsicht gewähren, solange bis ich den Unglauben zurückgewiesen habe, der eben dem Gebiete der Sinneserfahrung seine Beweise entnimmt, nicht dem Glauben an übersinnliche Dinge. Denn wer sich nicht über den Apostel entsetzt, welcher entsetzliche Schandtaten von Weibern rügt2, die „den natürlichen Gebrauch vertauschten mit dem, der wider die Natur ist“, der liest auch unsere Darlegungen ohne Ärgernis, zumal da wir hier nicht in Erwähnung und Rügung verwerflicher Unzucht dem Apostel folgen, wohl aber darin, daß wir bei Darlegung von Begleitumständen des menschlichen Zeugungsvorgangs gleich ihm unzüchtige Worte vermeiden.
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De civitate Dei (CCSL)
Caput XXIII: An etiam in paradiso generandum fuisset, si nemo peccasset, uel utrum contra aestum libidinis pugnatura illic fuisset ratio castitatis.
Quisquis autem dicit non fuisse coituros nec generaturos, nisi peccassent, quid dicit, nisi propter numerositatem sanctorum necessarium hominis fuisse peccatum? si enim non peccando soli remanerent, quia, sicut putant, nisi peccassent, generare non possent: profecto ut non soli duo iusti homines possent esse, sed multi, necessarium peccatum fuit. quod si credere absurdum est, illud potius est credendum, quod sanctorum numerus quantus conplendae illi sufficit beatissimae ciuitati, tantus existeret, etsi nemo peccasset, quantus nunc per dei gratiam de multitudine colligitur peccatorum, quousque filii saeculi huius generant et generantur. et ideo illae nuptiae dignae felicitate paradisi, si peccatum non fuisset, et diligendam prolem gignerent et pudendam libidinem non haberent. sed quomodo id fieri posset, nunc non est quo demonstretur exemplo. nec ideo tamen incredibile debet uideri etiam illud unum sine ista libidine uoluntati potuisse seruire, cui tot membra nunc seruiunt. an uero manus et pedes mouemus, cum uolumus, ad ea quae his membris agenda sunt, sine ullo renisu, tanta facilitate, quanta et in nobis et in aliis uidemus, maxime in artificibus quorumque operum corporalium, ubi ad exercendam infirmiorem tardioremque naturam agilior accessit industria; et non credimus ad opus generationis filiorum, si libido non fuisset, quae peccato inoboedientiae retributa est, oboedienter hominibus ad uoluntatis nutum similiter ut cetera potuisse illa membra seruire? nonne Cicero in libris de republica, cum de imperiorum differentia disputaret et huius rei similitudinem ex natura hominis adsumeret, ut filiis dixit imperari corporis membris propter oboediendi facilitatem; uitiosas uero animi partes ut seruos asperiore imperio coherceri? et utique ordine naturali animus anteponitur corpori, et tamen ipse animus imperat corpori facilius quam sibi. uerumtamen haec libido, de qua nunc disserimus, eo magis erubescenda extitit, quod animus in ea nec sibi efficaciter imperat, ut omnino non libeat, nec omni modo corpori, ut pudenda membra uoluntas potius quam libido commoueat; quod si ita esset, pudenda non essent. nunc uero pudet animum resisti sibi a corpore, quod ei natura inferiore subiectum est. in aliis quippe adfectionibus cum sibi resistit, ideo minus pudet, quia, cum a se ipso uincitur, ipse se uincit; etsi inordinate atque uitiose, quia ex his partibus, quae rationi subici debent, tamen a partibus suis ac per hoc, ut dictum est, a se ipso uincitur. nam cum ordinate se animus uincit, ut inrationabiles motus eius menti rationique subdantur, si tamen et illa deo subdita est, laudis atque uirtutis est. minus tamen pudet, cum sibi animus ex uitiosis suis partibus non obtemperat, quam cum ei corpus, quod alterum ab illo est atque infra illum est et cuius sine illo natura non uiuit, uolenti iubentique non cedit. sed cum alia membra retinentur uoluntatis imperio, sine quibus illa, quae contra uoluntatem libidine concitantur, id quod adpetunt inplere non possunt, pudicitia custoditur, non amissa, sed non permissa delectatione peccati. hunc renisum, hanc repugnantiam, hanc uoluntatis et libidinis rixam uel certe ad uoluntatis sufficientiam libidinis indigentiam procul dubio, nisi culpabilis inoboedientia poenali inoboedientia plecteretur, in paradiso nuptiae non haberent, sed uoluntati membra, ut cetera, ita cuncta seruirent. ita genitale aruum uas in hoc opus creatum seminaret, ut nunc terram manus, et quod modo de hac re nobis uolentibus diligentius disputare uerecundia resistit et conpellit ueniam honore praefato a pudicis auribus poscere, cur id fieret nulla causa esset, sed in omnia, quae de huiusmodi membris sensum cogitantis adtingerent, sine ullo timore obscenitatis liber sermo ferretur, nec ipsa uerba essent, quae uocarentur obscena, sed quidquid inde diceretur, tam honestum esset, quam de aliis cum loquimur corporis partibus. quisquis ergo ad has litteras inpudicus accedit, culpam refugiat, non naturam; facta denotet suae turpitudinis, non uerba nostrae necessitatis; in quibus mihi facillime pudicus et religiosus lector uel auditor ignoscit, donec infidelitatem refellam, non de fide rerum inexpertarum, sed de sensu expertarum argumentantem. legit enim haec sine offensione, qui non exhorret apostolum horrenda feminarum flagitia reprehendentem, quae inmutauerunt naturalem usum in eum usum, qui est contra naturam, praecipue quia nos non damnabilem obscenitatem nunc, sicut ille, commemoramus atque reprehendimus, sed in explicandis, quantum possumus, humanae generationis effectibus uerba tamen, sicut ille, obscena uitamus.