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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
3. Wie sich Varro im Anschluß an die von Antiochus verbürgte Auffassung der alten Akademie für eine der drei Schulen, die nach dem höchsten Gute des Menschen forschen, endgültig entscheidet.
Welche von diesen drei Lehrmeinungen nun die richtige sei, der man sich anzuschließen habe, sucht Varro auf folgende Weise glaubhaft zu machen. Zunächst sei, so meint er, da es sich in der Philosophie um das höchste Gut des Menschen handelt, und nicht um das der Pflanze, des Tieres, Gottes, die Frage aufzuwerfen, was denn der Mensch sei. Er weiß nämlich aus Erfahrung, daß in der Natur des Menschen zweierlei vorhanden ist, Leib und Seele, und er ist sich auch völlig klar darüber, daß von diesen beiden die Seele das Bessere und weitaus Vorzüglichere ist. Aber die Frage sei, ob der Mensch lediglich Seele sei, so daß sich der Leib zu ihm verhält wie das Pferd zum Reiter [der Reiter ist ja nicht Mensch und Pferd, sondern lediglich Mensch; Reiter jedoch heißt er infolge einer Beziehung zum Pferd], oder ob der Mensch lediglich Leib sei und nur irgendwie in Beziehung zur Seele stehe, wie etwa das Trinkgefäß zum Trunke [denn der Becher allein, nicht mitsamt dem darin enthaltenen Trunk, heißt Trinkgefäß; so jedoch heißt er, weil er sich zur Aufnahme eines Trunkes eignet], oder endlich ob der Mensch weder Seele allein, noch Leib allein, sondern beides zumal sei, so daß Seele und Leib je ein Teil von ihm ist, er selbst aber als Ganzes aus beiden besteht und so erst Mensch ist [wie wir zwei zusammengespannte Pferde als Zweigespann bezeichnen, wobei sowohl das rechte wie das linke Pferd ein Teil des Zweigespannes ist, während wir eines für sich, mag es sich zum anderen verhalten wie immer, nicht als Zweigespann bezeichnen, sondern nur beide zusammen]. Von diesen drei Möglichkeiten Band 28, S. 1157entscheidet sich Varro für die dritte; seine Ansicht geht dahin, daß der Mensch weder Seele allein noch Leib allein, sondern Seele und Leib zugleich sei. Demnach besteht nach ihm das höchste Gut des Menschen, das ihn beglückende Gut, aus Gütern beider Bestandteile, der Seele und des Leibes. Und so sind nach ihm jene Urgüter der Natur um ihrer selbst willen anzustreben, und das gleiche gilt ihm von der Tugend, die durch Belehrung beigebracht wird, als der Lebenskunst, die unter den Gütern der Seele das vorzüglichste ist. Sowie deshalb die Tugend, d. i. die Kunst der Lebensführung, die Urgüter der Natur erfaßt, die ohne sie da waren, aber doch wirklich vorhanden waren zu einer Zeit, da ihnen die Belehrung noch mangelte, so strebt sie nach all dem um ihrer selbst willen und zugleich auch nach sich selbst und gebraucht alles zumal und auch sich selbst zu dem Zweck, sich an allem zu ergötzen und alles zu genießen, sich mehr oder weniger an allem erfreuend, je nach Verhältnis der größeren oder geringeren Bedeutung der Gegenstände, dabei auf Gegenstände von geringerem Belang, wenn nötig, ohne Bedenken verzichtend, um solche von höherem Belang zu erreichen oder festzuhalten. Aber nichts von allen Gütern des Geistes und des Leibes stellt die Tugend über sich selbst. Denn sie ist es, die sowohl von sich selbst als auch von den übrigen Gütern, die den Menschen beglücken, einen guten Gebrauch macht. Wo dagegen die Tugend fehlt, da mögen noch so viele Güter vorhanden sein, sie gereichen doch dem nicht zum Guten, dem sie gehören, und können demnach auch nicht als Güter für den Betreffenden gelten, da sie ihm wegen der schlechten Nutznießung nicht von Nutzen sein können. Ein Leben also, das im Genusse der Tugend ist und anderer geistiger und leiblicher Güter, ohne die die Tugend nicht bestehen kann, ein solches Leben, heißt es, sei glücklich; glücklicher noch, wenn es im Genusse noch weiterer Güter steht, solcher, die nicht notwendige Voraussetzung der Tugend sind, seien es einige oder viele; ganz glücklich, wenn es im Genusse aller Güter steht, so daß auch nicht e i n Gut des Geistes oder des Leibes mangelt. Leben und Tugend sind nämlich nicht dasselbe; denn nicht das Band 28, S. 1158Leben ohne weiters, sondern ein weises Leben ist Tugend; und doch kann es ein Leben an sich ohne jegliche Tugend geben, dagegen kann es keine Tugend geben ohne alles Leben. Das gilt auch vom Gedächtnis, von der Vernunft und von allen anderen derartigen Fähigkeiten im Menschen: sie sind auch schon vor der Belehrung vorhanden, sind aber die notwendige Voraussetzung der Lehre und demnach auch der Tugend, die ja erlernt wird. Anders steht es mit Fähigkeiten und Gaben wie Fertigkeit im Laufen, leibliche Schönheit, übergewaltige Körperkraft und dergleichen; sie sind der Tugend zu ihrem Bestande nicht nötig und können ihrerseits ohne die Tugend bestehen; doch sind sie Güter, und nach den Altakademikern werden auch sie um ihrer selbst willen geliebt von der Tugend, von ihr gebraucht und genossen, wie es der Tugend zukommt.
Dieses glückselige Leben sei auch, so versichert man, auf Gemeinschaft angelegt; der Weise liebe daher das Beste der Freunde um dieses Besten willen wie das eigene und wünsche ihnen um ihretwillen das, was er sich selbst wünscht; ob es sich nun um den Nächsten handelt in der Familie, also um Gemahlin, Kinder und Angehörige jeder Art, oder am Orte, wo die Familie sich aufhält, wie die Stadt ein solcher Ort ist, also um die Nebenmenschen, die man Bürger nennt, oder auf der ganzen Erde, also um die Völker, die das Band menschlicher Gemeinschaft mit dem Weisen verbindet, oder gar in der Welt, die man meint, wenn man von Himmel und Erde spricht, also nach der Auffassung dieser Philosophen um die Götter, die nach ihnen dem weisen Menschen wohlgesinnt wären — wir nennen sie traulicher Engel. Über das Endgut und dessen Gegenteil, das Endübel, sei ganz und gar kein Zweifel am Platz, sagen sie, und dadurch unterscheiden sie sich nach ihrer Versicherung von den Neuakademikern; es gilt ihnen auch völlig gleich, ob einer in zynischer oder sonst in irgendeiner Lebensweise und Ernährungsart philosophiere innerhalb dieser Endziele, die sie für die wahren halten. Von den drei Lebensarten endlich, der zurückgezogenen, der öffentlich tätigen und der aus beiden gemischten, geben sie der letzten den Vorzug. So haben nach dem Zeugnis Band 28, S. 1159Varros die Altakademiker gedacht und gelehrt, und er beruft sich hierfür auf Antiochus, seinen und Ciceros Lehrer, den freilich Cicero1 mehr als einen Stoiker denn als einen Altakademiker angesehen wissen will. Doch das kann uns gleichgültig sein, da wir ja nur über den Inhalt der Lehren zu urteilen haben und kein Gewicht darauf legen, zu wissen, wofür man die Träger der Lehren gehalten hat.
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Acad. pr. II 43. ↩
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De civitate Dei (CCSL)
Caput III: De tribus sectis summum hominis bonum quaerentibus quam eligendam Varro definiat sequens ueteris Academiae Antiocho auctore sententiam.
Quid ergo istorum trium sit uerum atque sectandum, isto modo persuadere conatur. primum, quia summum bonum in philosophia non arboris, non pecoris, non dei, sed hominis quaeritur, quid sit ipse homo, quaerendum putat. sentit quippe in eius natura duo esse quaedam, corpus et animam, et horum quidem duorum melius esse animam longeque praestabilius omnino non dubitat, sed utrum anima sola sit homo, ut ita sit ei corpus tamquam equus equiti - eques enim non homo et equus, sed solus homo est; ideo tamen eques dicitur, quod aliquo modo se habeat ad equum - , an corpus solum sit homo, aliquo modo se habens ad animam, sicut poculum ad potionem - non enim calix et potio, quam continet calix, simul dicitur poculum, sed calix solus; ideo tamen quod potioni continendae sit adcommodatus - , an uero nec anima sola nec solum corpus, sed simul utrumque sit homo, cuius sit pars una siue anima siue corpus, ille autem totus ex utroque constet, ut homo sit, sicut duos equos iunctos bigas uocamus, quorum siue dexter siue sinister pars est bigarum, unum uero eorum, quoquo modo se habeat ad alterum, bigas non dicimus, sed ambo simul. horum autem trium hoc elegit tertium hominemque nec animam solam nec solum corpus, sed animam simul et corpus esse arbitratur. proinde summum bonum hominis, quo fit beatus, ex utriusque rei bonis constare dicit, et animae scilicet et corporis. ac per hoc prima illa naturae propter se ipsa existimat expetenda ipsamque uirtutem, quam doctrina inserit uelut artem uiuendi, quae in animae bonis est excellentissimum bonum. quapropter eadem uirtus, id est ars agendae uitae, cum acceperit prima naturae, quae sine illa erant, sed tamen erant etiam quando eis doctrina adhuc deerat, omnia propter se ipsa adpetit simulque etiam se ipsam, omnibusque simul et se ipsa utitur, eo fine, ut omnibus delectetur atque perfruatur, magis minus que, ut quaeque inter se maiora atque minora sunt, tamen omnibus gaudens et quaedam minora, si necessitas postulat, propter maiora uel adipiscenda uel tenenda contemnens. omnium autem bonorum uel animi uel corporis nihil sibi uirtus omnino praeponit. haec enim bene utitur et se ipsa et ceteris, quae hominem faciunt beatum, bonis. ubi uero ipsa non est, quamlibet multa sint bona, non bono eius sunt, cuius sunt, ac per hoc iam nec eius bona dicenda sunt, cui male utenti utilia esse non possunt. haec ergo uita hominis, quae uirtute et aliis animi et corporis bonis, sine quibus uirtus esse non potest, fruitur, beata esse dicitur; si uero et aliis, sine quibus esse uirtus potest, uel ullis uel pluribus, beatior; si autem prorsus omnibus, ut nullum omnino bonum desit uel animi uel corporis, beatissima. non enim hoc est uita, quod uirtus, quoniam non omnis uita, sed sapiens uita uirtus est; et tamen qualiscumque uita sine ulla uirtute potest esse; uirtus uero sine ulla uita non potest esse. hoc et de memoria dixerim atque ratione, et si quid tale aliud est in homine. sunt enim haec et ante doctrinam, sine his autem non potest esse ulla doctrina, ac per hoc nec uirtus, quae utique discitur. bene autem currere, pulchrum esse corpore, uiribus ingentibus praeualere et cetera huiusmodi talia sunt, ut et uirtus sine his esse possit et ipsa sine uirtute; bona sunt tamen, et secundum istos etiam ipsa propter se ipsam diligit uirtus, utiturque illis et fruitur, sicut uirtutem decet. hanc uitam beatam etiam socialem perhibent esse, quae amicorum bona propter se ipsa diligat sicut sua eisque propter ipsos hoc uelit quod sibi; siue in domo sint, sicut coniux et liberi et quicumque domestici, siue in loco, ubi domus est eius, sicuti est urbs, ut sunt hi qui ciues uocantur, siue in orbe toto, ut sunt gentes quas ei societas humana coniungit, siue in ipso mundo, qui censetur nomine caeli et terrae, sicut esse dicunt deos, quos uolunt amicos esse homini sapienti, quos nos familiarius angelos dicimus. de bonorum autem et e contrario malorum finibus negant ullo modo esse dubitandum et hanc inter se et nouos Academicos adfirmant esse distantiam, nec eorum interest quidquam, siue Cynico siue alio quolibet habitu et uictu in his finibus, quos ueros putant, quisque philosophetur. ex tribus porro illis uitae generibus, otioso, actuoso et quod ex utroque conpositum est, hoc tertium sibi placere adseuerant. haec sensisse atque docuisse Academicos ueteres Varro adserit, auctore Antiocho, magistro Ciceronis et suo, quem sane Cicero in pluribus fuisse Stoicorum quam ueterem Academicum uult uideri. sed quid ad nos, qui potius de rebus ipsis iudicare debemus, quam pro magno de hominibus quid quisque senserit scire?