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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
21. Ciceros Ansicht über den römischen Staat.
Gibt man aber nichts auf den, der den römischen Staat den schlechtesten und sittenlosesten nannte, und kümmern sich unsere Gegner nicht darum, welche Flut und Schmach der äußersten Entsittlichung sich über ihn ergieße, zufrieden, wenn er nur bestehen bleibt, so sollen sie vernehmen, daß er nicht, wie Sallust erzählt, zum schlechtesten und sittenlosesten Staate geworden sei, sondern daß er, wie Cicero ausführt, damals schon völlig zugrunde gegangen ist und überhaupt kein Staat mehr war. Cicero läßt nämlich Scipio, denselben, der Karthago zerstört hatte, über den Staat sich äußern zu einer Zeit, da man schon vorausahnte, er werde an dem Verderbnis, von dem Sallust schreibt, in kurzer Frist zugrunde gehen; denn die Ausführungen sind in die Zeit nach dem Morde eines der beiden Gracchen verlegt, von wo an Sallust die schweren Aufstände datiert1; sein Band 1, S. 109Tod wird in jenem Werke Ciceros erwähnt. Also Scipio sagt zunächst am Ende des zweiten Buches2: Wie beim Saiten- und Flötenspiel und auch bei der Vokalmusik auf eine Art Zusammenklingen der verschiedenen Töne zu achten sei, dessen Störung oder Verstimmung ein musikalisches Ohr nicht ertragen könne, und dieses Zusammenklingen durch gehörige Abstimmung von ganz ungleichen Stimmen eben doch übereinstimmend und angenehm werde, so bilde auch der Staat durch eine ähnliche Angleichung der höchsten und niedersten Stände, zwischen denen die mittleren stehen, ein Zusammenklingen infolge der Übereinstimmung ganz ungleicher Elemente, und was die Musiker beim Gesang die Harmonie nennen, das sei im Staate die Eintracht, das festeste und beste Band der Wohlfahrt in jeglichem Gemeinwesen, und sie sei ohne Gerechtigkeit undenkbar; nachdem er sich dann etwas ausführlicher darüber ergangen hatte, von welchem Vorteil die Gerechtigkeit für den Staat sei und wie sehr deren Mangel schade, ergriff Philus das Wort, einer der Teilnehmer an der Unterredung, und verlangte, daß diese Frage genauer behandelt und über die Gerechtigkeit eine eingehendere Erörterung gepflogen werde, weil bereits die allgemeine Ansicht dahin neigte, ein Staat könne ohne Ungerechtigkeit nicht regiert werden. Auch Scipio meinte3, diese Frage müsse erörtert und gelöst werden; was er bisher über den Staat beigebracht zu haben glaube, sei nicht derart, daß man weiterfahren könne, ehe nicht festgestellt sei, die Ansicht, daß ein Staat ohne Ungerechtigkeit nicht regiert werden könne, sei nicht nur unrichtig, sondern das Gegenteil sei allein richtig, daß nämlich ein Staat ohne allseitige Gerechtigkeit nicht regiert werden könne. Die Auseinandersetzung über die Frage wurde auf den folgenden Tag verschoben und im dritten Buch ist dieser Punkt in einem heftigen Meinungsstreit vorgeführt, Philus vertrat dabei die Ansicht, daß ein Staat ohne Ungerechtigkeit nicht regiert werden könne, nachdem er sich feierlich dagegen verwahrt hatte, als teile er Band 1, S. 110sie; er führte mit Eifer die Sache der Ungerechtigkeit gegen die Gerechtigkeit4, indem er sich scheinbar ernstlich bemühte, mit Wahrscheinlichkeitsgründen und Beispielen den Nachweis zu erbringen, daß für den Staat die Ungerechtigkeit ein Vorteil sei, die Gerechtigkeit dagegen nichts tauge. Darauf nahm sich auf allgemeinen Wunsch Cälius der Sache der Gerechtigkeit an und verfocht nach Kräften den Satz, daß für einen Staat nichts so schädlich sei als die Ungerechtigkeit und daß ein Gemeinwesen überhaupt ohne große Gerechtigkeit nicht regiert werden noch bestehen könne.
Nachdem diese Frage genügend erörtert ist, nimmt Scipio den unterbrochenen Faden wieder auf und wiederholt und empfiehlt seine kurze Begriffsbestimmung des Gemeinwesens, wonach er es als eine Sache des Volkes bezeichnet hatte. Als Volk aber gilt ihm nicht eine beliebige Vereinigung einer Menge, sondern eine durch Übereinstimmung des Rechtes und durch die .Gemeinsamkeit des Nutzens zusammengeschlossene Vereinigung. Er legt sodann dar, wieviel bei wissenschaftlichen Untersuchungen auf die Begriffsbestimmung ankomme, und zieht aus den erwähnten Begriffsbestimmungen den Schluß, das Gemeinwesen sei dann ein wahres d. i. eine Sache des Volkes, wenn es gut und gerecht geführt wird, sei es von einem Monarchen oder von einigen Optimaten oder von der Gesamtheit des Volkes. Wenn aber der König ungerecht ist, ein Tyrann, wie er ihn in diesem Falle nach dem Vorgang der Griechen nennt, oder wenn die Optimaten ungerecht sind, deren Zusammenhalten er dann als Coterie bezeichnet, oder wenn das Volk ungerecht ist — dafür fand er keine gebräuchliche Bezeichnung, sondern spricht auch hier von Tyrannenwirtschaft —, dann sei das Gemeinwesen nicht mehr bloß mangelhaft, wie tags vorher behauptet worden war, sondern, wie sich aus seinen Begriffsbestimmungen folgerichtig ergebe, überhaupt kein Gemeinwesen mehr; denn es sei, wenn sich desselben ein Tyrann oder eine Coterie bemächtige, nicht mehr eine Sache des Volkes, und wenn das Volk selbst ungerecht sei, so sei dies kein Volk Band 1, S. 111mehr, weil es sich dann nicht um eine durch Übereinstimmung des Rechtes und durch die Gemeinsamkeit des Nutzens zusammengeschlossene Menge handle, wie die Definition des Begriffes Volk erfordert.
Und demnach war das römische Gemeinwesen, als es sich in dem Zustande befand, wie ihn Sallust schildert, nicht mehr bloß äußerst schlecht und sittenlos, wie er sich ausdrückt, sondern es war überhaupt kein Gemeinwesen mehr, wenn wir es an dem Maßstab messen, welchen die von den Größen des damaligen Gemeinwesens gepflogene Untersuchung ergab. Wie auch Tullius5 selbst nicht mit Scipios oder eines andern, sondern mit seinen eigenen Worten zu Beginn des fünften Buches im Anschluß an den von ihm zitierten Vers des Dichters Ennius: „Auf den Sitten und Männern der alten Zeit beruht der römische Staat“ sich dahin äußert: „Diesen Vers in seiner Gedrängtheit und Wahrheit hat er, so möchte ich glauben, einem Orakelspruch entnommen. Denn weder hätten einzelne Männer, wenn nicht die Bürgerschaft so gesittet gewesen wäre, noch hätten die Sitten, wenn nicht solche Männer an der Spitze gestanden wären, einen so bedeutenden, so gerecht und weithin herrschenden Staat zu gründen oder so lange zu behaupten vermocht. So drängte vordem die Sitte darauf hin, hervorragende Männer zu verwenden, und diese ausgezeichneten Männer wahrten hinwiederum die alte Sitte und die Einrichtungen der Vorfahren. Unsere Zeit aber, die den Staat überkommen hat als ein prächtiges, aber vor Alter verblassendes Gemälde, hat es nicht nur verabsäumt, dieses Gemälde in den ursprünglichen Farben zu erneuern, sondern hat nicht einmal für die Erhaltung seiner Form und sozusagen seiner Umrißlinien gesorgt. Was ist denn noch übrig von den alten Sitten, auf denen nach Ennius' Worten der römische Staat beruht? Vergessen sehen wir sie und veraltet, so sehr, daß man nichts mehr davon weiß, geschweige denn sie übt. Und was soll ich von den Männern sagen? Gerade infolge des Mangels an Männern sind ja die Sitten dahingeschwunden, und wir stehen einem Unheil Band 1, S. 112gegenüber, das uns nicht nur die Pflicht der Verantwortung auferlegt, sondern uns geradezu wie Kapitalverbrecher zur Verteidigung nötigt. Denn nicht durch einen Zufall, sondern durch unsere Schuld haben wir vom Staat nur noch den Namen, während wir der Sache längst verlustig gegangen sind.“
Dies Geständnis machte Cicero lange nach dem Tode des Africanus, den er in seinem Werke die Lehre über den Staat erörtern ließ, aber noch vor der Ankunft Christi; würden solche Ansichten nach der Ausbreitung und dem Obsiegen der christlichen Religion gehegt und geäußert, so würden unsere Gegner diese Zustände ohne Zweifel den Christen zur Last legen. Warum haben demnach ihre Götter nicht vorgebeugt, sondern den Staat, dessen Verlust Cicero lange vor der Ankunft Christi im Fleische so kläglich betrauert, damals zugrunde gehen lassen? Seine Lobredner mögen zusehen, in welchem Zustand sich das Gemeinwesen selbst unter jenen alten Römern und unter der Herrschaft der alten Sitten befand, ob darin wahre Gerechtigkeit blühte oder ob es etwa selbst damals schon nicht lebendig gewesen sei an sittlicher Kraft, sondern lediglich geschminkt mit farbiger Pracht, wie das auch Cicero unbewußt andeutete, da er von ihm in dem Bilde eines Gemäldes sprach. Wir werden das ja ein andermal, wenn es Gott gefällt, ins Auge fassen. Ich werde mich nämlich an seinem Orte6 bemühen, an der Hand der Definitionen Ciceros, in denen er mit den Worten Scipios kurz die Begriffe Gemeinwesen und Volk feststellt (zur Bekräftigung dienen viele in derselben Erörterung enthaltene Ausprüche Ciceros selbst und derer, die er redend einführt), den Nachweis zu führen, daß jenes Gebilde niemals ein Gemeinwesen war, weil darin niemals wahre Gerechtigkeit zu finden war. Nach anderen Definitionen jedoch, die der Wahrheit näher kommen dürften, war es in seiner Art allerdings ein Gemeinwesen und dieses wurde von den Römern der alten Zeit besser verwaltet als von den späteren; aber die wahre Gerechtigkeit herrscht nur in dem Gemeinwesen, dessen Gründer Band 1, S. 113und Leiter Christus ist, wenn man dieses Gebilde auch ein Gemeinwesen nennen will, da es ja unbestreitbar eine Sache des Volkes ist. Wenn aber diese Bezeichnung, die für einen andern Begriff und in anderem Sinne üblich ist, der bei uns gebräuchlichen Ausdrucksweise vielleicht weniger entspricht, so sagen wir: in dem Staate herrscht die wahre Gerechtigkeit, von dem die Heilige Schrift7 rühmt: „Herrliches wird von dir gesagt, Staat Gottes“.
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The City of God
Chapter 21.--Cicero's Opinion of the Roman Republic.
But if our adversaries do not care how foully and disgracefully the Roman republic be stained by corrupt practices, so long only as it holds together and continues in being, and if they therefore pooh-pooh the testimony of Sallust to its "utterly wicked and profligate" condition, what will they make of Cicero's statement, that even in his time it had become entirely extinct, and that there remained extant no Roman republic at all? He introduces Scipio (the Scipio who had destroyed Carthage) discussing the republic, at a time when already there were presentiments of its speedy ruin by that corruption which Sallust describes. In fact, at the time when the discussion took place, one of the Gracchi, who, according to Sallust, was the first great instigator of seditions, had already been put to death. His death, indeed, is mentioned in the same book. Now Scipio, at the end of the second book, says: "As among the different sounds which proceed from lyres, flutes, and the human voice, there must be maintained a certain harmony which a cultivated ear cannot endure to hear disturbed or jarring, but which may be elicited in full and absolute concord by the modulation even of voices very unlike one another; so, where reason is allowed to modulate the diverse elements of the state, there is obtained a perfect concord from the upper, lower, and middle classes as from various sounds; and what musicians call harmony in singing, is concord in matters of state, which is the strictest bond and best security of any republic, and which by no ingenuity can be retained where justice has become extinct." Then, when he had expatiated somewhat more fully, and had more copiously illustrated the benefits of its presence and the ruinous effects of its absence upon a state, Pilus, one of the company present at the discussion, struck in and demanded that the question should be more thoroughly sifted, and that the subject of justice should be freely discussed for the sake of ascertaining what truth there was in the maxim which was then becoming daily more current, that "the republic cannot be governed without injustice." Scipio expressed his willingness to have this maxim discussed and sifted, and gave it as his opinion that it was baseless, and that no progress could be made in discussing the republic unless it was established, not only that this maxim, that "the republic cannot be governed without injustice," was false, but also that the truth is, that it cannot be governed without the most absolute justice. And the discussion of this question, being deferred till the next day, is carried on in the third book with great animation. For Pilus himself undertook to defend the position that the republic cannot be governed without injustice, at the same time being at special pains to clear himself of any real participation in that opinion. He advocated with great keenness the cause of injustice against justice, and endeavored by plausible reasons and examples to demonstrate that the former is beneficial, the latter useless, to the republic. Then, at the request of the company, Laelius attempted to defend justice, and strained every nerve to prove that nothing is so hurtful to a state as injustice; and that without justice a republic can neither be governed, nor even continue to exist.
When this question has been handled to the satisfaction of the company, Scipio reverts to the original thread of discourse, and repeats with commendation his own brief definition of a republic, that it is the weal of the people. "The people" he defines as being not every assemblage or mob, but an assemblage associated by a common acknowledgment of law, and by a community of interests. Then he shows the use of definition in debate; and from these definitions of his own he gathers that a republic, or "weal of the people," then exists only when it is well and justly governed, whether by a monarch, or an aristocracy, or by the whole people. But when the monarch is unjust, or, as the Greeks say, a tyrant; or the aristocrats are unjust, and form a faction; or the people themselves are unjust, and become, as Scipio for want of a better name calls them, themselves the tyrant, then the republic is not only blemished (as had been proved the day before), but by legitimate deduction from those definitions, it altogether ceases to be. For it could not be the people's weal when a tyrant factiously lorded it over the state; neither would the people be any longer a people if it were unjust, since it would no longer answer the definition of a people--"an assemblage associated by a common acknowledgment of law, and by a community of interests."
When, therefore, the Roman republic was such as Sallust described it, it was not "utterly wicked and profligate," as he says, but had altogether ceased to exist, if we are to admit the reasoning of that debate maintained on the subject of the republic by its best representatives. Tully himself, too, speaking not in the person of Scipio or any one else, but uttering his own sentiments, uses the following language in the beginning of the fifth book, after quoting a line from the poet Ennius, in which he said, "Rome's severe morality and her citizens are her safeguard." "This verse," says Cicero, "seems to me to have all the sententious truthfulness of an oracle. For neither would the citizens have availed without the morality of the community, nor would the morality of the commons without outstanding men have availed either to establish or so long to maintain in vigor so grand a republic with so wide and just an empire. Accordingly, before our day, the hereditary usages formed our foremost men, and they on their part retained the usages and institutions of their fathers. But our age, receiving the republic as a chef-d'oeuvre of another age which has already begun to grow old, has not merely neglected to restore the colors of the original, but has not even been at the pains to preserve so much as the general outline and most outstanding features. For what survives of that primitive morality which the poet called Rome's safeguard? It is so obsolete and forgotten, that, far from practising it, one does not even know it. And of the citizens what shall I say? Morality has perished through poverty of great men; a poverty for which we must not only assign a reason, but for the guilt of which we must answer as criminals charged with a capital crime. For it is through our vices, and not by any mishap, that we retain only the name of a republic, and have long since lost the reality."
This is the confession of Cicero, long indeed after the death of Africanus, whom he introduced as an interlocutor in his work De Republica, but still before the coming of Christ. Yet, if the disasters he bewails had been lamented after the Christian religion had been diffused, and had begun to prevail, is there a man of our adversaries who would not have thought that they were to be imputed to the Christians? Why, then, did their gods not take steps then to prevent the decay and extinction of that republic, over the loss of which Cicero, long before Christ had come in the flesh, sings so lugubrious a dirge? Its admirers have need to inquire whether, even in the days of primitive men and morals, true justice flourished in it; or was it not perhaps even then, to use the casual expression of Cicero, rather a colored painting than the living reality? But, if God will, we shall consider this elsewhere. For I mean in its own place to show that--according to the definitions in which Cicero himself, using Scipio as his mouthpiece, briefly propounded what a republic is, and what a people is, and according to many testimonies, both of his own lips and of those who took part in that same debate--Rome never was a republic, because true justice had never a place in it. But accepting the more feasible definitions of a republic, I grant there was a republic of a certain kind, and certainly much better administered by the more ancient Romans than by their modern representatives. But the fact is, true justice has no existence save in that republic whose founder and ruler is Christ, if at least any choose to call this a republic; and indeed we cannot deny that it is the people's weal. But if perchance this name, which has become familiar in other connections, be considered alien to our common parlance, we may at all events say that in this city is true justice; the city of which Holy Scripture says, "Glorious things are said of thee, O city of God."