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Œuvres Augustin d'Hippone (354-430) Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
2. Buch

9. Wie die alten Römer urteilten über die Einschränkung der dichterischen Freiheit, während die Griechen ihr, hierin dem Urteil der Götter beistimmend, keine Zügel angelegt wissen wollten.

Wie darüber die alten Römer dachten, bezeugt uns Cicero in seinen Büchern über den Staat1, wo Scipio in einer Unterredung sagt: „Niemals hätten die Komödien mit ihren Schändlichkeiten beim Publikum Anklang finden können, wenn es nicht die Lebensart so mit sich gebracht hätte“. Und die Griechen der älteren Zeit haben, so verkehrt ihre Anschauung hierin war, ein gewisses Gefühl für das Schickliche bewahrt; denn bei ihnen Band 1, S. 90war es sogar gesetzlich erlaubt, daß die Komödie über jeden beliebigen jede beliebige Anspielung mache, und zwar mit Nennung des Namens. „Wen hat sie daher“, wie Afrikanus in demselben Werke sagt, „nicht angetastet oder vielmehr nicht verfolgt? wen hat sie verschont? Mag sie sich immerhin gegen unehrliche Volksschmeichler, politische Wühler wie Kleo, Kleophontes, Hyperbolus gekehrt haben. Das könnte man hingehen lassen, obgleich es besser wäre, wenn solche Bürger vom Zensor statt vom Dichter gerügt würden. Aber einen Perikles durch Spottverse zu verletzen und sie auf der Bühne vorzubringen, zu einer Zeit, da er bereits mehrere Jahre hindurch seinem Staate in Krieg und Frieden mit größtem Ansehen vorgestanden hatte, das war ebenso ungeziemend, als wenn“, sagt er, „unser Plautus oder Nävius auf Publius und Gn. Scipio oder ein Cäcilius auf Marcus Cato schmähen wollte.“ Und kurz danach fährt er fort: „Unsere zwölf Tafeln dagegen, die doch nur auf ganz wenige Verbrechen die Todesstrafe setzten, glaubten darunter auch den Fall aufnehmen zu sollen, daß jemand etwas singen oder dichten würde, was einen andern in Ehrlosigkeit und Schande brächte. Vortrefflich! Denn unser Leben soll nicht dem Witz der Dichter, sondern dem Urteil der Behörden und ordnungsgemäßen Prozessen unterstellt sein und wir sollen keinen Vorwurf zu hören bekommen, ohne daß uns die Möglichkeit geboten wird, uns zu verantworten und gerichtlich zu verteidige.“ Diese Stelle aus Ciceros viertem Buch über den Staat glaubte ich, mit wenigen Auslassungen und geringen Änderungen zum Zweck des besseren Verständnisses, im übrigen wortgetreu herübernehmen zu sollen; denn sie hängt enge mit dem Gegenstand zusammen, den ich, wenn ich imstande bin, klar machen will. Er fügt dann noch anderes hinzu und schließt die Ausführung mit dem Hinweis, daß die alten Römer weder am Lobe noch am Tadel eines Lebenden durch das Theater einen Gefallen gehabt hätten. Die Griechen dagegen haben, wie gesagt, zwar mit weniger Gefühl für Ehrerbietung, aber mit mehr Gefühl für Schicklichkeit diese Freiheit in Anspruch genommen, da sie sahen, daß ihren Göttern Schmähungen in Band 1, S. 91Bühnenstücken lieb und angenehm seien, nicht nur auf Menschen, sondern auch auf die Götter selbst, ob nun diese Schmähungen von den Dichtern frei erfunden waren oder ob ihre wahren Schandtaten vorgebracht und gemimt wurden in den Theatern und ihren Verehrern vor Augen geführt wurden, die sie leider nicht bloß des Belachens, sondern auch der Nachahmung wert erachteten. Übertriebener Hochmut war es, den Ruf der Staatslenker und der Bürger zu schonen, wo die Götter für ihren Ruf keine Schonung heischten.


  1. De re publica IV, 10. ↩

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