24. Die Weissagungen der Davidischen Psalmen über das Ende der jetzigen Welt und das letzte Gericht Gottes.
Viel ist vom Jüngsten Gericht die Rede in den Psalmen, aber meist wird es nur so im Vorbeigehen gestreift. Dagegen ist vom Ende der jetzigen Welt einmal sehr deutlich die Rede, und diese Stelle muß ich hier anführen1: „Im Anfang hast Du, Herr, die Erde gegründet und Deiner Hände Werk sind die Himmel. Sie werden vergehen, aber Du hast Bestand; alle werden alt werden wie ein Kleid, und wie ein Gewand wirst Du sie Band 28, S. 1284wechseln und sie wechseln sich; Du aber bist immer derselbe, und Deine Jahre nehmen kein Ende.“ Mit welchem Recht also wirft uns Christen Porphyrius die größte Eselei an den Kopf, auch noch mit Berufung auf Aussprüche seiner Götter, weil wir am dereinstigen Untergang der jetzigen Welt festhalten? Rühmt er nicht im gleichen Atemzug die Frömmigkeit der Hebräer, ihre Verehrung eines großen, wahren und selbst den Gottheiten schreckhaften Gottes? Und siehe da, in den frommen Schriften der Hebräer wird der Gott, vor dem selbst die Gottheiten erschaudern, wie dieser bedeutende Philosoph gesteht2, angeredet mit den Worten: „Deiner Hände Werk sind die Himmel, sie werden vergehen.“ Wird etwa, wenn die Himmel vergehen, die Welt nicht vergehen, von der doch die Himmel der obere und sicherere Teil sind? Wenn diese Lehre dem Jupiter mißfällt, wenn sie, wie unser Philosoph schreibt, durch Jupiters Ausspruch, dem er so großes Gewicht beilegt, mißbilligt wird am Glauben der Christen, warum tadelt er nicht als eine Torheit die Weisheit der Hebräer, in deren so frommen Büchern sich diese Lehre findet? Wenn nun aber eben doch in jener Weisheit, die des Porphyrius Beifall so sehr herausfordert, daß er zu ihrem Preise sogar seine Götter sprechen läßt, die Lehre vorgetragen wird, daß die Himmel vergehen werden, warum hat man dann in frecher Verlogenheit die Stirn, am Glauben der Christen unter anderem gerade diese Lehre zu beanstanden, daß die Welt vergehen werde, da doch die Himmel nur mit ihr vergehen können? Und in unseren besonderen heiligen Schriften, die wir nicht mit den Juden gemeinsam haben, in den Büchern der Evangelien und der Apostel, heißt es doch nur3: „Die Gestalt dieser Welt geht vorbei“, und wiederum4: „Die Welt geht vorüber“, und wiederum5: „Himmel und Erde werden vorbeigehen.“ Freilich wird „vorbeigehen, vorübergehen“ nur eine mildere Ausdrucksform sein für „vergehen“. Auch ist im Briefe des Petrus, wo die Rede Band 28, S. 1285davon ist, daß bei der Sündflut die damalige Welt in Wasserflut zugrunde gegangen sei6, hinreichend deutlich ausgedrückt, welcher Teil der Welt gemeint ist, wie weit dieser Teil zugrunde ging und welche Himmel wieder hergestellt worden sind, um dem Feuer vorbehalten zu werden auf den Tag des Gerichtes und der Vernichtung der gottlosen Menschen; und wenn der Apostel dann weiter sagt7: „Kommen wird der Tag des Herrn wie ein Dieb, und dann werden die Himmel mit großem Krachen vergehen, die Elemente aber brennend sich auflösen und die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden“, und dann beifügt: „Da nun dies alles zugrunde geht, wie sollt ihr euch verhalten?“, so kann man hier unter den vergehenden Himmeln nur jene verstehen, die nach seinen Worten wieder hergestellt worden waren, um dem Feuer vorbehalten zu werden, und unter den dem Feuer anheimfallenden Elementen nur die, die in unserem untersten, stürmischen und unruhigen Teil der Welt vorhanden sind, in welchem auch die Himmel, wie er sagt, wieder hergestellt wurden, während die oberen Himmel, an deren Feste sich die Gestirne befinden, unversehrt erhalten bleiben werden. Es heißt zwar einmal8, daß die Sterne vom Himmel fallen werden, aber abgesehen davon, daß die Stelle sehr wahrscheinlich anders aufzufassen ist, beweist sie eher, daß diese oberen Himmel bestehen bleiben. Wofern freilich, überhaupt von ihnen Sterne herabfallen; denn entweder handelt es sich um eine bildliche Wendung, und dies ist das wahrscheinlichere, oder der Vorgang wird sich am untersten Lufthimmel zutragen, und hier dann freilich seltsamer, als wir es gewohnt sind. Vom Himmel fällt ja auch bei Vergil9 ein Stern, der
„Flammenbeschweift durch die Nacht mit strahlendem Lichte dahineilt“
und sich im Idäerwald verbirgt. Dagegen nach der angezogenen Psalmstelle würde überhaupt kein Himmel übrig bleiben, der nicht zugrunde ginge. Denn wo der Band 28, S. 1286Wortlaut so gefaßt ist: „Deiner Hände Werk sind die Himmel, sie werden vergehen“, da wird kein Himmel ausgenommen vom Untergang, so wenig als einer von den Werken Gottes ausgenommen wird. Denn man wird sich nicht dazu verstehen, die durch Götteraussprüche anerkannte Frömmigkeit der Hebräer zu rechtfertigen aus der Ausdrucksweise des Apostels Petrus, den man so gar nicht ausstehen kann; dadurch ließe sich der Sinn der Psalmstelle so deuten, daß wenigstens nicht die ganze Welt in den Untergang hineingezogen erschiene. Man könnte nämlich in der Psalmstelle gerade so gut einen Teil durch das Ganze ausgedrückt sehen, also die Himmel, die vergehen werden, auf die untersten Luftschichten einschränken, wie man im Petrusbrief den Teil statt des Ganzen gesetzt sieht, wenn es dort heißt, die Welt sei zugrunde gegangen durch die Sündflut, da doch nur ihr unterster Teil samt den zugehörigen Himmeln zugrunde gegangen ist. Aber wie gesagt, dazu wird man sich nicht verstehen; man will nicht die Meinung des Apostels Petrus billigen und will ebensowenig dem letzten Weltbrand auch nur so viel Wirkung zugestehen, als wir der Sündflut zuschreiben; man bleibt dabei, daß das ganze Menschengeschlecht weder durch Feuer noch durch Wasser zugrunde gehen könne. Und so wird man denn wohl oder übel zugeben müssen, daß die Götter die Weisheit der Hebräer nur preisen konnten, weil sie diesen Psalm nicht gelesen haben.
Im 49. Psalme ferner sind vom letzten Gerichte Gottes die Worte zu verstehen10: „Gott wird offenbar kommen, und er wird nicht schweigen. Feuer wird entbrennen vor seinem Angesicht, und um ihn her ist gewaltiger Sturmwind. Er wird den Himmel herbeirufen in die Höhe, und die Erde, sein Volk zu sondern. Versammelt ihm seine Gerechten, die seinen Bund begründen über Opfern.“ Das beziehen wir auf unseren Herrn Jesus Christus, der unserer Hoffnung gemäß vom Himmel kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. „Offenbar“ nämlich wird er kommen, gerecht zu richten zwischen Gerechten und Ungerechten, nachdem Band 28, S. 1287er das erste Mal geheim gekommen ist, um von Ungerechten ungerechterweise gerichtet zu werden. Er wird also, wie gesagt, „offenbar kommen und nicht schweigen“, d. h. er wird in der Stimme des Richters vor aller Augen sich zeigen, nachdem er das erste Mal, da er verborgen kam, vor dem Richter geschwiegen hat, als er wie ein Schaf zur Opferung geführt ward und wie ein Lamm vor dem, der es schert, keine Stimme vernehmen ließ, wie wir über ihn geweissagt lesen beim Propheten Isaias11 und es erfüllt sehen im Evangelium12. Wie Feuer und Sturmwind aufzufassen sind, habe ich schon oben gesagt13, als in der Weissagung des Isaias von etwas Ähnlichem zu handeln war. Die Worte: „Er wird den Himmel herbeirufen in die Höhe“ decken sich, da die Heiligen und Gerechten mit gutem Grund als Himmel bezeichnet werden, mit den Worten des Apostels14: „Wir werden zugleich mit ihnen entrückt werden auf Wolken Christo entgegen in die Lüfte.“ Denn im wörtlichen Sinne kann man ja den Himmel nicht herbeirufen in die Höhe, da er ohnehin schon droben ist. Was sich dann anschließt, nämlich: „Und die Erde, sein Volk zu sondern“, läßt sich auf doppelte Weise mit dem Vorangehenden verbinden: man kann zu „die Erde“ ergänzen entweder lediglich „herbeirufen“ oder „herbeirufen in die Höhe“. Ergänzt man dazu lediglich „herbeirufen“, so daß also das ganze Sätzchen lautet: „er wird auch die Erde herbeirufen, sein Volk zu sondern“, so dürfte dies nach dem richtigen Glauben15 den Sinn haben, daß unter Himmel die zu verstehen sind, welche mit ihm Gericht halten werden, und unter Erde die, welche gerichtet werden sollen; dann würde also das Herbeirufen des Himmels in die Höhe nicht gleichbedeutend sein mit Band 28, S. 1288dem Entrücktwerden in die Lüfte, sondern etwa so viel heißen wie „er wird auf Richterstühle erheben“. Man kann aber auch das Herbeirufen des Himmels droben auffassen im Sinne von „er wird die Engel an den himmlisch-erhabenen Stätten herbeirufen, um mit ihnen zur Abhaltung des Gerichtes herunterzusteigen“; und das Herbeirufen der Erde dann auf die Menschen auf Erden beziehen, die herbeigerufen werden, um gerichtet zu werden. Ist dagegen das „in die Höhe“ auch zu „Erde“ zu beziehen, so daß also gemeint ist: Er wird den Himmel herbeirufen in die Höhe und wird die Erde herbeirufen in die Höhe, so wird man darunter wohl am besten alle die verstehen, die Christo entgegen in die Lüfte entrückt werden; sie heißen dann „Himmel“ mit Bezug auf die Seele und „Erde“ mit Bezug auf den Leib. Die folgenden Worte „zu sondern sein Volk“ besagen natürlich nichts anderes als durch das Gericht sondern die Guten von den Bösen, die Schafe von den Böcken. Hierauf wendet sich die Rede an die Engel mit der Aufforderung: „Versammelt ihm seine Gerechten“; denn sicherlich ist dieses bedeutsame Geschäft durch Engelsdienst zu besorgen. Wollen wir aber wissen, welche Gerechten die Engel ihm versammeln sollen, so sagt uns der Psalm: „die seinen Bund begründen über Opfern“. Darin erschöpft sich ja das Leben der Gerechten: den Bund mit Gott zu begründen über Opfern. Denn mit dem Ausdruck „über Opfern“ ist entweder auf die Werke der Barmherzigkeit, die noch über Opfern stehen, hingewiesen, gemäß dem Worte Gottes16: „Barmherzigkeit will ich, lieber als Opfer“; oder wenn „über Opfern“ aufgefaßt wird im Sinne von „auf Opfern“, so wie man etwa sagt: über dem Amboß das Eisen schmieden im Sinne von auf dem Amboß17, nun dann sind eben die Werke der Barmherzigkeit selbst die Opfer, durch die man Gottes Wohlgefallen erwirbt, wie ich im zehnten Buch dieses Werkes ausgeführt zu haben mich erinnere18; den Bund mit Gott begründen die Gerechten durch solche Werke insofern, Band 28, S. 1289als sie sie vollbringen im Hinblick auf die Verheißungen, die im neuen Gottesbunde gegeben sind. Deshalb wird Christus, wenn die Gerechten um ihn versammelt und zu seiner Rechten aufgestellt sind, und zwar eben beim Jüngsten Gerichte sprechen19: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet Besitz von dem Reich, das für euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen“ und die sich anschließenden Worte über die guten Werke und deren Belohnung auf ewig durch den letzten Urteilsspruch des Richtenden.
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Ps. 101, 26-28. ↩
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Vgl. oben. XIX. 23, 1. Absatz. ↩
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1 Kor. 7, 31. ↩
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1 Joh. 2, 17. ↩
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Matth. 24, 35. ↩
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2 Petr. 3, 6 f. Vgl. oben XX 18. ↩
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2 Petr. 3, 10 f. ↩
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Matth. 24, 29. ↩
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Än. 2, 694. ↩
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Ps. 49, 3-5. ↩
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Is. 53, 7. ↩
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Matth. 26, 63. ↩
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XX 21, 2. Abs. ↩
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1 Thess. 4, 17. ↩
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d. i. nach der „Richtschnur des Glaubens“, von der Augustinus mehrfach spricht im Zusammenhang mit der Deutung schwieriger Schriftstellen.; vgl. z. B. oben. XI 33 [Band II dieser Übersetzung, S. 197]; was er damit meint, hat er XI 19 [oben Band II, S. 171]dargelegt. ↩
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Os. 6, 6. ↩
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„über der Erde geschehe etwas, wenn es auf Erden geschieht“, heißt es wörtlich, aber so sagen wir im Deutschen nicht. ↩
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X 6. ↩
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Matth. 25, 34. ↩