26. Von den Opfern, welche von den Heiligen Gott dargebracht werden mit dem Erfolg, daß sie ihm „gefallen wie in alten Tagen und in früheren Jahren“.
Aber Gott wollte keinen Zweifel darüber lassen, daß seine Stadt alsdann nicht die Gepflogenheit haben werde, Sühnopfer darzubringen; darum heißt es ausdrücklich, in Gerechtigkeit würden die Söhne Levis ihre Opfer darbringen; also nicht in Sünde und demnach auch nicht für die Sünde. Daraus ergibt sich für das Verständnis des folgenden Satzes: „Und dem Herrn wird das Opfer Judas und Jerusalems gefallen wie in alten Tagen und in früheren Jahren“ zunächst einmal so viel, daß sich die Juden vergeblich schmeicheln, es würden für ihre alttestamentlichen Opfer die vergangenen Zeiten wiederkehren. Denn damals brachten sie ihre Opfer nicht in Gerechtigkeit dar, sondern vielmehr in Sünden; brachte man sie doch vornehmlich und an erster Stelle für die Sünden dar, ja der Hohepriester selbst, den wir uns doch als gerechter denn die übrigen vorzustellen haben, pflegte der Anordnung Gottes gemäß1 zuerst für seine eigenen Sünden zu opfern, dann für die des Volkes. Wir müssen also den Sinn der Worte: „wie in alten Tagen und in früheren Jahren“ auszudeuten versuchen. Vielleicht wird damit auf die Zeit angespielt, da die ersten Menschen im Paradiese lebten. Denn Band 28, S. 1292damals allerdings brachten sie, rein und unversehrt von allem Schmutz und Fehl der Sünde, sich selbst Gott als vollkommen lautere Opfer dar; seitdem sie aber um der begangenen Übertretung willen aus dem Paradiese vertrieben wurden und die menschliche Natur selbst in ihnen getroffen worden ist, „gibt es“, wie geschrieben steht2, „keinen mehr, der rein wäre von Schmutz, nicht einmal das Kind, dessen Leben auf Erden eine Tageslänge beträgt“, außer dem einen Mittler und den kleinen Kindern nach dem Bade der Wiedergeburt. Nun könnte man erwidern, daß in Gerechtigkeit doch auch die ihre Opfer darbringen, die sie im Glauben darbringen [denn „der Gerechte lebt aus dem Glauben“3, obwohl man sich ja selbst betört, wenn man sagen wollte, man habe keine Sünde, und es gerade deshalb nicht sagen wird, weil man aus dem Glauben lebt]; allein niemand wird doch behaupten wollen, daß die jetzige Zeit, die Zeit des Glaubens, gleichzustellen sei jenem Endzustand, da durch das Feuer des Jüngsten Gerichtes erst die Läuterung eintritt, durch die ein Opfer in Gerechtigkeit ermöglicht wird. Demnach läßt sich also, weil anzunehmen ist, daß erst nach solcher Reinigung die Gerechten keine Sünde mehr haben werden, sofort diese künftige Zeit im Punkte der Sündelosigkeit mit keiner anderen zusammenstellen als mit der, da die ersten Menschen im Paradies vor der Übertretung in völlig schuldloser Glückseligkeit lebten. Mit Recht also versteht man diese erste Zeit unter den „alten Tagen und den früheren Jahren“. Heißt es doch auch bei Isaias4: „Den Tagen des Lebensbaumes werden die Tage meines Volkes entsprechen,“ und zwar heißt es so im Anschluß an die Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde und im Zusammenhang mit anderen bildlichen und dunklen Wendungen über die Seligkeit der Heiligen, die ich aber hier nicht auslegen kann, um nicht zu weitläufig zu werden. Eben um diesen Lebensbaum herum ward aber eine feurige, schreckhafte Wache aufgestellt, nachdem Band 28, S. 1293den ersten Menschen der Genuß seiner Frucht verwehrt worden war bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies infolge ihrer Sünde; es weiß ja jeder, der die heiligen Schriften auch nur oberflächlich kennt, an welcher Stelle Gott den Lebensbaum gepflanzt hatte5.
Wenn man jedoch die von Isaias erwähnten Tage des Lebensbaumes gleichsetzen will mit den gegenwärtigen Tagen der Kirche Christi und Christum selbst im Lebensbaum geweissagt sein läßt, weil er die Weisheit Gottes ist und Salomon von dieser sagt6: „Sie ist ein Lebensbaum allen, die sie erfassen“, oder wenn man die Deutung der alten Tage und der früheren Jahre auf das Paradies mit dem Hinweis darauf ablehnt, daß ja die ersten Menschen doch nicht mehrere Jahre im Paradies zugebracht haben, sondern so bald daraus vertrieben wurden, daß sie nicht einmal ein Kind darin erzeugten, so lasse ich mich auf nähere Erörterung nicht ein; ich müßte sonst alle die möglichen Annahmen untersuchen, ob vielleicht eine davon zu unbestreitbarer Wahrheit erhoben werden könne, und das würde zu weit führen. Ich habe ohnehin noch eine andere Deutung im Auge, die uns ebenfalls über die Annahme hinweghebt, als hätte uns hier der Prophet die alten Tage und früheren Jahre der blutigen Opfer als eine große Gnade verheißen. Die Opfer des alten Gesetzes nämlich mußten stets, mochte es sich um welche Tiere immer handeln, in unversehrten und gänzlich fehlerlosen Stücken dargebracht werden, und sie deuteten heilige Menschen an ohne irgendeine Sünde, wie allein Christus einer gewesen ist. Da nun nach dem Gericht, wenn auch noch durch Feuer die geläutert sein werden, die solcher Läuterung würdig sind, bei den Heiligen insgesamt keinerlei Sünde sich finden wird und sie sich selbst opfern werden in Gerechtigkeit, so daß sie solche in jeder Hinsicht unversehrte und fehlerlose Opfergaben sein werden, so werden in der Tat die Opfer sein wie in alten Tagen und in früheren Jahren, da zur Vorausschattung dieses Zustandes nur ganz reine Opfer dargebracht wurden. Band 28, S. 1294Es wird sich nämlich dann die Reinheit, die vorgebildet wurde in jenen Tierleibern, am unsterblichen Leib und Geiste der Heiligen finden.
Hieran schließt der Prophet im Hinblick auf die, welche nicht zur Läuterung, sondern zur Verdammnis reif sind, die Worte: „Und ich will mit euch ins Gericht gehen und werde ein schneller Zeuge sein wider die Übeltäter und wider die Ehebrecher“, und nennt dann eine Reihe verdammungswürdiger Verbrechen, worauf er beifügt: „Denn ich bin der Herr, euer Gott, und ich ändere mich nicht“; er will damit etwa sagen: „Während ihr euch ändert, zum Schlechtem durch eure Schuld, zum Bessern durch meine Gnade, ändere ich mich nicht.“ Zeuge wird er sein, sagt er; er braucht nämlich keine Zeugen bei seinem Gericht; und zwar ein schneller Zeuge, sei es deshalb, weil er plötzlich kommen und das Gericht, das so lange zu säumen schien, eben mit seiner unvermuteten Ankunft aufs schnellste sich abspielen wird, sei es deshalb, weil er ohne langes Hin- und Herreden die Gewissen selbst überführen wird, „Denn in den Gedanken der Gottlosen“, heißt es7, „wird die Untersuchung stattfinden“, und der Apostel spricht8 von „Gedanken, die Anklage erheben oder Verteidigung führen an dem Tage, da Gott das Verborgene in den Menschen richten wird gemäß meinem Evangelium durch Jesus Christus“. Also ist auch in dem Sinne der Herr als ein schneller Zeuge zu betrachten, daß er ohne Verzug das ins Gedächtnis rufen wird, womit er das Gewissen überführt und straffällig erklärt.