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Works Augustine of Hippo (354-430) De Trinitate Einleitung

9.

Damit kommen wir zu einer weiteren Dreiheit: Gedächtnis, Einsicht, Wille bzw. Liebe (memoria, intelligentia, voluntas bzw. amor; statt intelligentia heißt es manchmal intellectus). Ihr widmet Augustinus die längsten Ausführungen. Sie erstrecken sich von Buch 10 bis 14. Sie fordern auch die stärkste Anspannung des Denkens heraus. Augustinus will dem Leser die Schwierigkeiten erleichtern.

Wenn auch die geistige Seite des Menschen die Stätte unserer Gottabbildlichkeit ist, so fällt dem in das Sinnliche verstrickten Menschen doch die Betrachtung seines Geistes schwer. Um ihn hierfür einzuüben, versucht S. 51 Augustinus, nachdem er im zehnten Buche den immerwährenden Bestand dieser Dreiheit nachgewiesen hat, im elften Buche seines Trinitätswerkes im äußeren Menschen, in jenem Bereiche also, in dem wir uns nicht von den Tieren unterscheiden, nicht zwar ein Bild Gottes, wohl aber eine Spur Gottes aufzuzeigen. An jedem der fünf Sinne ließe sich die Dreistufung des äußeren Menschen nachweisen. Augustinus greift den vornehmsten Sinn, den Gesichtssinn, heraus. Jeder Blick auf einen sinnfälligen Gegenstand schließt ein dreifaches ein: den sinnfälligen Gegenstand, das Sehen, das heißt die dem Sehorgan eingeprägte Form, und die beide verbindende Aufmerksamkeit. Diese drei sind offenbar voneinander verschieden, da sie ganz verschiedenen Bereichen angehören, und stehen doch zugleich in so inniger Beziehung, daß sie bei der Wahrnehmung ein Ordnungsgefüge bilden. Wenn der sinnfällige Gegenstand nicht mehr vorhanden ist, dann bleibt sein Bild im Gedächtnis gegenwärtig. Wenn sich der Blick, vom Willen angetrieben, dem im Gedächtnis hinterlegten Bilde des abwesenden sinnfälligen Gegenstandes zuwendet, dann entsteht wiederum eine Dreiheit, die Dreiheit von Gedächtnisbild, dessen Schau und dem beide einenden Willen. Die Dreiheit vollzieht sich im Gegensatz zur ersten innerhalb der Seele. Die Einheit der drei Glieder ist daher viel inniger als jene bei der ersten Dreiheit. Augustinus zeigt bis ins einzelne die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in bezug auf die göttliche Dreieinigkeit. Mancherlei verdankt er hierbei Marius Viktorinus. Dieser stellt an der Analyse eines Wahrnehmungsvorganges die dreifache Modifizierung der seelischen Grundsubstanz dar. Die von Ernst Benz1 aufgeführten Dreiheiten scheinen jedoch mehr die tiefgehenden Unterschiede zwischen Augustinus und dem Neuplatoniker darzutun als ihre Verwandtschaften.

Nun hält Augustinus seine Leser für fähig, die im inneren Menschen verwirklichte Dreiheit zu verstehen. Gedächtnis, Einsicht und Wille sind die notwendigen Entfaltungsweisen des Geistes. Unter Gedächtnis versteht dabei Augustinus nicht nur die Kraft des Geistes, sich des Vergangenen zu erinnern, sondern das S. 52 Vermögen, sich selbst und alles was er weiß, in unbewußter Weise zu besitzen. Hin und wieder ist es auch nicht bloß die Kraft hierzu, sondern auch der ganze unbewußte geistige Besitz selbst. Es ist der Magen des Geistes, der Behälter der ganzen geistigen Persönlichkeit. Die Tätigkeit des Gedächtnisses ist das nosse (Kennen) im Gegensatz zum cogitare (Denken). Aus dem umfassenden Charakter des Gedächtnisses ergibt sich die Wichtigkeit und Bedeutung für das gesamte geistige Leben. Es ist der Quell, aus dem das geistige Erkennen in ununterbrochenem Flusse herausströmt. Nicht nur die aus bewußtem Wissen stammenden und dort hinterlegten Kenntnisse, sondern auch sich selbst und die unwandelbaren Wahrheiten und Normen findet der Geist in seinem Gedächtnisse.2 Damit es dazu kommt, bedarf es freilich einer göttlichen Erleuchtung,3 sowie wir die sinnfälligen Gegenstände nur im Lichte der Sonne sehen. Wenn wir in den Palästen des Gedächtnisses umherwandern, finden wir alle Arten von Wahrheiten und bringen sie uns zum Bewußtsein und formen sie zu Gedanken, zu einem geistigen inneren Wort. Die Gedanken schauen wir mit der Einsicht. Einsicht (intelligentia) besagt das unmittelbare Schauen. Sie ist verschieden von der Verstandeserkenntnis, der ratio, die das diskursive, schlußfolgernde Erkennen bedeutet.4 Das Wort intelligentia oder intellectus lebt im Sinne von intuitiver Erkenntnis fort in der mittelalterlichen Scholastik und noch mehr in der Mystik.5 Augustinus hält freilich die Ausdrücke intelligentia und ratio nicht immer scharf auseinander.

Diese Dreiheit findet sich wieder in zweifacher Ausführung. Sie kann unterhalb der Schwelle des Bewußtseins und oberhalb der Bewußtseinsschwelle liegen. S. 53 Liegt sie unterhalb der Schwelle des Bewußtseins, dann ist das Gedächtnis der Schauplatz, auf dem sie sich verwirklicht. Zugleich ist das Gedächtnis in diesem Fall das erste Glied der Dreiheit. Die Dreiheit liegt in dieser Form im Seelengrund, in jener Tiefe der Seele, in welche die Tageshelle des Bewußtseins noch nicht hineinleuchtet, wo noch keine klaren Unterschiede zu sehen sind. In der zweiten vorzüglicheren Weise verwirklicht sich die Dreiheit oberhalb der Bewußtseinsschwelle.6 Wenn indes Augustinus der aus dem Gedächtnis, dem bewußten geistigen Schauen und dem bewußten Wollen bestehenden Dreiheit auch den Vorzug gibt, so läuft doch die im Seelengrund liegende stets nebenher. Man kann wohl auch hier sagen, daß immer die eine Geistesseele mit ihren drei Kräften vor dem Auge Augustins stand, daß sich aber aus der als lebendige Einheit von ihm geschauten Wirklichkeit die Kräfte bald unter dem Gesichtspunkt ihrer unbewußten, bald unter dem Gesichtspunkt ihrer bewußten Verwirklichung deutlicher abheben und in den Vordergrund schieben.7 Clemens Baeumker8 schildert dieses Bild der göttlichen Dreieinigkeit zutreffend folgendermaßen: „Ein Bild des ewigen innergöttlichen Lebens erfaßt die Seele, wenn sie ihre dreifache Grundbetätigung und die Immanenz ihres Wesens betrachtet. Im Gedächtnis als Macht des Behaltens hat sie sich und all ihren Besitz, mit der Vernunft erfaßt sie denkend sich und all ihren Besitz, im Willen liebt sie sich, wie sie sich besitzt und erkennt, und ist doch in allen drei Betätigungen (memoria, intelligentia, dilectio) ein und dieselbe wesentliche Natur.“ Keine von den drei Kräften ist ein von der Seelensubstanz verschiedenes Vermögen, sondern sie sind die Seelensubstanz selbst. So kann man leicht verstehen, daß die drei Kräfte eine Substanz, ein Geist, ein Leben sind. Sie sind die notwendige Weise des Geisteslebens. Zugleich sind Gedächtnis, Einsicht und Liebe beziehentliche Wirklichkeiten. Sofern nämlich der eine Geist in seinem Charakter als Gedächtnis S. 54 aufgefaßt wird, ist eine Beziehung zum Gedächtnisinhalt eingeschlossen. Das gleiche gilt von Einsicht und Liebe. Ebenso sind die drei Kräfte einander vollständig gleich. Denn jede Kraft umfaßt den ganzen Geistesbesitz.


  1. A. a. O. 143. ↩

  2. Schmaus a. a. O. 213—331. ↩

  3. M. Grabmann, Der göttliche Grund menschlicher Wahrheitserkenntms nach Augustinus und Thomas von Aquin. Münster 1924. E. Gilson a. a. O. 145—172; 379 f. ↩

  4. Schmaus a. a. O. 266—268. ↩

  5. M. Grabmann, Wesen und Grundlage der katholischen Mystik. München 1922, 33. Vgl. auch Th. Schneider, Der intellektuelle Wortschatz Meister Eckeharts. Berlin 1935. ↩

  6. Schmaus a. a. O. 269 f. ↩

  7. Etwas anderes Gilson a. a. O. 379, 561. ↩

  8. Cl. Baeumker, Die patristische Philosophie, in: Kultur der Gegenwart I 5. Leipzig-Berlin 1913, 295. ↩

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Editions of this Work
De Trinitate
Translations of this Work
De la trinité
Fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit
The Fifteen Books of Aurelius Augustinus, Bishop of Hippo, on the Trinity
Commentaries for this Work
Einleitung
On the Trinity - Introductory Essay

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