7.
Man hat wegen solcher Gedankengänge in Augustinus einen Fortsetzer neuplatonischer Ideen sehen wollen.1 Tatsächlich begegnet uns bei Marius Viktorinus, der zwar Christ wurde, aber die Offenbarung in neuplatonischem Geiste erklärte, der Gedanke, daß der Sohn Gottes die forma dei, die Form Gottes ist. Marius Viktorinus meint damit folgendes: Nach ihm ist ebenso wie nach Plotin Gott das überseiende Sein, das überförmige Ursein. Er hat zwar das Sein, aber es ist in ihm verborgen und unerkennbar, jenseits aller Form und Bestimmung. Im Zeugungsakt, der ein Akt des Willens, nicht der Natur ist, begrenzt und bestimmt sich das formlose Sein zum Seienden. Dies ist für uns erkennbar. So ist der Sohn die Form Gottes und als solche die S. 42 Offenbarung Gottes. Sohn und Gott sind so zwar innig miteinander verbunden, aber es besteht keine Wesensgleichheit. Daraus ersieht man den wesentlichen Unterschied zwischen der augustinischen und der neuplatonischen Trinitätslehre. Augustinus wird nicht müde, und zwar schon in seinen frühen Schriften, auch in denen, in welchen uns der Formgedanke begegnet, die wesentlichen Momente des biblischen Trinitätsglaubens zu verkünden, die Dreiheit der real voneinander verschiedenen Personen und zugleich ihre Gleichheit und Gleichwesentlichkeit.2 Gerade dieses letzte Moment fehlt in der neuplatonischen Dreiheitslehre. Sie ist sonach von der christlichen, die Augustinus lehrt, wesentlich verschieden. Es ist verfehlt, überall dort, wo man die Anschauung findet, daß im Bereiche des Göttlichen eine Dreiheit besteht, innere Abhängigkeiten oder Übereinstimmungen zu behaupten. Von entscheidender Bedeutung ist die Art der Dreiheit. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, daß Augustinus von Marius Viktorinus tiefgehend beeinflußt worden ist. Es soll nur festgestellt werden, daß Augustins Dreieinigkeit eine ganz andere ist als jene Viktorins. Dieser bot indes Augustinus viele Gedanken, mit denen er die christliche Dreieinigkeit, ohne sie wesentlich umzuformen, erklären und darlegen konnte. Während Marius Viktorinus die christliche Trinitätslehre mit neuplatonischen Augen sah, sah Augustinus die neuplatonische Trinitätslehre mit christlichen Augen. Es ist auch nicht so, als ob Augustinus zunächst an eine neuplatonische Trinität geglaubt und sich im Laufe der Entwicklung zur christlichen Dreieinigkeit durchgerungen hätte. Wie seine Frühschriften zeigen, lehrt er vom Anfang seiner Bekehrung an den dreieinigen Gott im Sinne des Evangeliums. Freilich tritt zunächst das neuplatonische Gedankengefüge bei ihm in einem gewissen Sinne deutlicher hervor. Es liefert ihm viele Bausteine für seine, wie er selbst gesteht, immer unzulänglichen Versuche, die christliche Dreieinigkeit geistig zu durchdringen. Seine Entwicklung führt insofern immer weiter ab vom Neuplatonismus, S. 43 als er dessen Philosophie immer sparsamer für die analoge Erklärung seines christlichen Dreieinigkeitsglaubens verwendet. Im Werke über die Dreieinigkeit, in dem die vorhin angeführten Dreiheiten stark zurücktreten, ist die Stellungnahme zum Neuplatonismus sehr zurückhaltend. In den Kapiteln 15 bis 17 des vierten Buches übt er in Gedankengängen, die mit jenen in seinem Werke über den Gottesstaat3 verwandt sind, Kritik an alten Philosophen, denen er im übrigen zugesteht, daß sie die anderen Weisheitslehrer um ein bedeutendes überragen. Sie haben irrige Anschauungen über Erlösung und Auferstehung. Offenbar hat er neuplatonische Denker, vor allem Porphyrius, im Auge.
Die augustinischen Dreiheiten in den Dingen wurden vom Augustinismus des Mittelalters, besonders von Bonaventura, aufgenommen und vermehrt. Sie begegnen uns im sogenannten franziskanischen Exemplarismus.4
Was von allen Dingen gilt, daß sie nämlich bis in ihre letzte Wurzel hinein das Gepräge der Dreiheit aufweisen, gilt naturgemäß auch vom Menschen. Bei ihm öffnet sich aber noch ein vollerer Blick in das trinitarische Gefüge des Seins, und zwar deshalb, weil er geistiges Sein hat. Während alle übrigen Geschöpfe Spuren Gottes sind, ist der Mensch Bild Gottes, und zwar in seiner geistigen Sphäre. Damit etwas ein Bild sei, muß es einem Vorbilde ähnlich sein und muß zugleich in ihm seinen Ursprung haben. So ist zwar ein Ei dem anderen gleich, aber es ist nicht eines das Bild des anderen, weil nicht eines vom anderen hervorgebracht wird.5 Der Mensch ist Bild Gottes, weil er ihm ähnlich und von ihm hervorgebracht ist, und zwar unmittelbar. Nichts steht mehr zwischen Gott und dem Geiste. Augustinus bezeichnet diese geistige Wirklichkeit, welche die Stätte des Gottesbildes ist, als mens. Daß der Mensch Bild Gottes ist, steht ihm fest durch S. 44 Gen. 1, 26. In der Frühzeit seiner schriftstellerischen Tätigkeit unterscheidet er zwischen dem Bilde Gottes und jener Wirklichkeit, die nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Den Menschen bezeichnet er in dieser Zeit nicht als Bild Gottes, das nur der Sohn Gottes ist, sondern als ein Geschöpf, das nach dem Bilde Gottes, das heißt nach dem Sohne Gottes, geschaffen ist. Er bewegt sich hier in der alten Tradition. Es mochten wohl auch platonisch-neuplatonische Gedanken im Spiele sein. Darnach ist, wie ein Mensch tapfer ist durch die Tapferkeit, jedes Ding ähnlich durch die Ähnlichkeit. Wie es eine Tapferkeit an sich gibt, so muß es also auch eine Ähnlichkeit an sich geben. Durch Teilnahme an ihr wird man ähnlich. Später verwirft Augustinus diese Unterscheidung zwischen Bild und nach dem Bilde. In dem Trinitätswerk beschäftigt er sich mit der alten Anschauung nur noch, um sie kritisch zu prüfen und abzulehnen.6
Das im menschlichen Geiste verwirklichte Bild Gottes gehört zur Naturausstattung des Menschen. In der vom Jahre 401 bis 415 verfaßten Schrift „De genesi ad litteram“7 neigt Augustinus freilich im sechsten Buche zu der Ansicht, daß das Bild Gottes von Adam durch die Sünde verloren wurde. Wir empfangen es wieder durch die Gnade, indem wir den alten Menschen aus- und einen neuen Menschen anziehen. Die Gottesabbildlichkeit erscheint hier als übernatürliche Gnadenausstattung. Als er im Jahre 427 eine Revision seiner Werke vornahm, hat er diese Meinung verbessert.8 Das Bild wurde durch die Sünde nicht vollständig vernichtet, sondern nur entstellt, so daß es erneuerungsbedürftig und erneuerungsfähig war. Dieses am Schlusse der schriftstellerischen Tätigkeit des Kirchenvaters ausgesprochene Urteil ist als seine endgültige Meinung anzusehen. Sie tritt uns in verschiedenen Strahlenbrechungen in seinen zwischen De genesi ad litteram und den Retraktionen liegenden Schriften entgegen. Schon in der S. 45 412, also gleichzeitig mit den letzten Büchern des Werkes „De genesi ad litteram“ entstandenen antipelagianischen Schrift „De spiritu et littera“ schreibt er: „Das Bild Gottes in der Menschenseele wurde durch die verderblichen irdischen Leidenschaften nicht so sehr geschwächt, daß nicht wenigstens die äußeren schwachen Umrisse zurückblieben,“9 Ausführlich wird die Frage im Werke „De trinitate“ behandelt und dargelegt, daß das Bild Gottes zur Natur des Menschen gehört.
Der Ausdeutung des Bildes Gottes im menschlichen Geiste sind die Bücher 8 bis 15 in seinem Trinitätswerke gewidmet. Doch spricht er auch sonst häufig von dem Bilde der göttlichen Dreieinigkeit im menschlichen Geiste.10 Dabei befruchten sich theologische und philosophische Überzeugungen in dauernder Wechselwirkung.
In welcher Weise ist das Bild des dreieinigen Gottes im Geiste des Menschen verwirklicht? Mit anderen Worten: Wie offenbart sich uns im Geiste die alles beherrschende Dreiheit, die eine Analogie zur Dreipersönlichkeit Gottes ist? Augustinus, erfüllt von dem Gedanken, daß Gott die Liebe ist, glaubt auf der Suche nach der wesensgemäßen Dreiheit im menschlichen Geiste zunächst, sie in der Liebe finden zu können.11 Die Ausführungen hierüber stehen im achten Buche seines Trinitätswerkes und in den beiden ersten Kapiteln des neunten Buches. Die Liebe schließt ja immer drei Elemente ein, das liebende Ich, den geliebten Gegenstand und die Liebe selbst. Zur Zweiheit schrumpft indes diese Dreiheit zusammen bei der Selbstliebe. Wenn der Geist sich selbst liebt, dann ist liebendes Ich und geliebter Gegenstand ein und dasselbe. Sich lieben bestimmt Augustinus dabei als sich gegenwärtig sein wollen, um sich zu genießen. Er unterscheidet nicht deutlich zwischen Akt und Anlage der Selbstliebe. Die Schilderung, die er von ihr gibt, weist darauf hin, daß er erstlich die Anlage im Auge hat und dabei öfter an ihre Verwirklichung im Akte denkt. Die S. 46 Selbstliebe ist dem Geiste gleich. Denn der ganze Geist umfaßt sich mit seinem liebenden Ja zu sich in der Ganzheit seines Seins. Verständlich wird auch, wie Augustinus sagen kann, daß der Geist und seine Selbstliebe ein einziges Wesen sind. Mit dem Geiste, mit seinem Wesen ist seine Anlage eben gegeben. Nach Augustinus sind die Fähigkeiten und Vermögen der Seele nicht real von der Seelensubstanz verschieden, sondern sind die Substanz der Seele mit der in eine bestimmte Richtung weisenden Neigung.12 Zugleich besteht doch wiederum eine Art Zweiheit, da ja Wesen und Wesensneigung, erst recht Wesen und Verwirklichung der Wesensneigung eine Zweiheit darstellen. Es ist eine beziehentliche Zweiheit. Das liebende Ich schließt nämlich die Liebe ein; die Liebe weist auf ein liebendes Ich hin. Man spürt, wie hier der an die Dreieinigkeit glaubende Christ von seinem Glauben her über das Wesen der Liebe nachsinnt, wie sich freilich auch wieder umgekehrt dem Denker bei seinem Nachsinnen ein bisher verschlossenes Tor in die dreieinige göttliche Wirklichkeit öffnet.
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E. Benz, Marius Viktorinus und die Entwicklung der abendländischen Willensmetaphysik, Stuttgart 1932, bietet S. 1—188 eine glänzende Analyse der Gedankengänge des Marius Viktorinus; über dessen Form-Spekulation S. 83—86. Vgl. auch Barion a. a. O. 105. ↩
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Siehe Anm. 2 Seite XXXX [S. 40]. Insbesondere ist epist. 11 zu vergleichen. ↩
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De civ. Dei, 1. X c. 29 n. 1. ↩
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E. Gilson, Der heilige Bonaventura. Hellerau 1930. J. M Bissen, L’exemplarisme divin selon Saint Bonaventure, Paris 1929. ↩
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De diversis quaest. 83, q. 74. De genesi ad litt. l. imperfectus, c. 16. ↩
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Schmaus a. a. O. 195―200; 220―225. E. Gilson, Der hl. Augustin, 371―385. Leider erscheint in der deutschen Übersetzung dieses Werkes mens immer als Denken statt als Geist, so daß manches unverständlich und mißverständlich ist. ↩
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De genesi ad litt., l. VI c. 27. ↩
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Retract., l. II c. 24 n. 2. ↩
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De spiritu et littera c. 28 n. 48. ↩
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Besonders in Sermo 52, in De civitate Dei, in den Confessiones und in den Tractatus zum Johannesevangelium. ↩
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Gilson a. a. O. 376 f. Schmaus a. a. O. 225—229. ↩
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Vgl. hierfür besonders De trin., l. X c. 11 n. 18. ↩