13. Kapitel. Beurteilung der Meinung, daß durch den Geist der Mann, durch den Sinn die Frau symbolisiert sei.
20. Es ist mir nicht unbekannt, daß manche ausgezeichnete Verteidiger des katholischen Glaubens und S. 148 Erklärer des göttlichen Wortes vor uns, wenn sie in einem Menschen, dessen ganze Seele mit ihrer Güte sie für eine Art Paradies betrachteten, jene zwei Wirklichkeiten suchten, daß diese sagten, der Mann sei der Geist, die Frau hingegen der Leibessinn. Nach dieser Aufteilung, bei der der Mann als Geist, die Frau als Leibessinn genommen wird, scheint alles gut zu stimmen, wenn man die angeführten Vorgänge sorgfältig überlegt, nur eines nicht, daß es nämlich in der Schrift heißt, unter allen Tieren und Vögeln habe sich keine dem Mann ähnliche Gehilfin gefunden; dann wurde ihm ja die Frau aus der Seite geschaffen.1 Deshalb glaubte ich nicht, daß unter der Frau der Leibessinn zu verstehen sei, der uns und den Tieren gemeinsam ist, wie wir sehen; ich wollte darunter vielmehr etwas verstanden wissen, was die Tiere nicht haben. Ich war der Meinung, daß der Leibessinn eher für die Schlange zu nehmen sei, von der man liest, daß sie weiser ist als alle Tiere der Erde.2 Bei den natürlichen Gütern, die, wie wir sehen, uns und den vernunftlosen Lebewesen gemeinsam sind, ragt ja der Leibessinn durch eine gewisse Lebendigkeit hervor, nicht jener Sinn, von dem im Briefe an die Hebräer geschrieben steht, daß es feste Speise „für die Vollkommenen“ gebe, „welche einen durch Übung geschulten Sinn für die Unterscheidung des Guten vom Bösen haben“;3 jene Sinne der vernunftbegabten Natur gehören ja zur Einsicht; dieser fünfgeteilte Sinn aber, durch den nicht nur von uns, sondern auch von den Tieren die körperlichen Gestalten und Bewegungen wahrgenommen werden, gehört dem Leibe an.
21. Mag indes das Wort des Apostels, der Mann sei das Abbild und der Abglanz Gottes, die Frau aber der Abglanz des Mannes,4 auf diese oder auf jene oder auf irgendeine andere Weise zu verstehen sein, ersichtlich ist, daß, wenn wir ein gottgemäßes Leben führen, unser S. 149 Geist, der auf das Unsichtbare an ihm hingerichtet ist, aus seiner Ewigkeit, Wahrheit, Liebe fortschreitend geformt werden muß, daß jedoch ein Teil unserer im Bereiche des Verstandes liegenden Aufmerksamkeit, das heißt ein Teil eben dieses Geistes, auf den Gebrauch der wandelbaren und körperlichen Dinge, ohne die dieses Leben nicht geführt werden kann, hingelenkt werden muß, nicht damit wir dieser Welt gleichförmig werden,5 indem wir unser Endziel in solche Güter verlegen und unser Verlangen nach Glückseligkeit auf sie hinwenden, sondern damit wir, was immer wir im Gebrauch des Zeitlichen gemäß der Weisung des Verstandes tun, mit dem Blicke auf das Ewige tun, das erreicht werden muß, durch jenes hindurchschreitend, diesem anhangend.
