10. Kapitel. Die Menschwerdung war die passendste Weise der Erlösung.
13. Diejenigen also, die da sagen: So sehr also fehlte Gott eine andere Weise, uns von dem Elend dieser Sterblichkeit zu befreien, daß er seinen eingeborenen Sohn, der Gott ist und gleichewig wie er, Mensch werden lassen wollte, indem dieser eine menschliche Seele und menschliches Fleisch anlegte, daß er ihn sterblich werden und den Tod erleiden lassen wollte, diese Leute so zu widerlegen, daß wir die Weise, in der sich S. 181 Gott herabließ, uns durch den Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Christus Jesus1 zu befreien, als gut und der göttlichen Würde angemessen erklären, das wäre zu wenig; wir müssen vielmehr auch zeigen, daß Gott nicht die Möglichkeit fehlte, eine andere Weise zu wählen, da ja seiner Macht alles in gleicher Weise unterworfen ist, daß aber für die Heilung unseres Elends keine andere Weise passender und keine andere vonnöten war. Was war denn für die Aufrichtung unserer Hoffnung und für die Befreiung des Geistes der Sterblichen — er war durch das Los der Sterblichkeit gänzlich niedergebeugt — von der Verzweiflung an der Unsterblichkeit so notwendig, als daß uns bewiesen wurde, welches Gewicht wir bei Gott haben und wie sehr er uns liebt? Was aber ist für den so bedeutungsvollen Erweis dieser Tatsache offenbarer und herrlicher, als daß der Sohn Gottes, der unwandelbar gut ist, in sich bleibt, was er war, von uns für uns empfängt, was er nicht war, und sich würdigte, ohne Verletzung seiner Natur in Gemeinschaft mit unserer Natur zu treten, als daß er also ohne irgendein verschuldetes Böses unser Böses zuvor ertrug und so uns, die wir nunmehr glaubten, wie sehr uns Gott liebt, und erhofften, woran wir verzweifelten, seine Geschenke ohne irgendwelche vorausgehenden Verdienste unsererseits, ja wo sogar unsere Mißverdienste vorausgingen, in ungeschuldeter Freigebigkeit darbot?
14. Auch das, was man unser Verdienst nennt, ist ja sein Geschenk. Damit nämlich der Glaube durch die Liebe wirke,2 ist „die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“3 Damals aber wurde er gegeben, als Jesus bei der Auferstehung verherrlicht wurde. Damals nämlich verhieß er seine Sendung und sendete ihn,4 weil er damals, wie von ihm geschrieben steht und auch vorhergesagt S. 182 war, „in die Höhe stieg, gefangen führte die Gefangenen, und Geschenke den Menschen gab“.5 Diese Geschenke sind unsere Verdienste, durch die wir zum höchsten Gut der unsterblichen Glückseligkeit gelangen. Der Apostel sagt: „Gott legt aber seine Liebe zu uns dadurch an den Tag, daß Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren. Um so mehr werden wir, wo wir jetzt in seinem Blute gerechtfertigt sind, vor seinem Zorn durch ihn bewahrt bleiben.“6 Er fügt noch hinzu und sagt: „Wenn wir nämlich, als wir seine Feinde waren, mit Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt wurden, dann werden wir um so mehr, wo wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben.“7 Die er vorher Sünder hieß, nennt er später Feinde Gottes; und die er vorher gerechtfertigt im Blute Jesu Christi hieß, nennt er nachher versöhnt durch den Tod des Sohnes Gottes; und die er vorher bewahrt vor dem Zorne durch ihn hieß, nennt er nachher gerettet durch sein Leben. Nicht also waren wir vor dieser Gnade irgendwie Sünder, sondern in solchen Sünden waren wir, daß wir Feinde Gottes waren. Vorher schon hatte derselbe Apostel uns, die Sünder und Feinde Gottes, mit zwei ganz gleichbedeutenden Namen bezeichnet, von denen der eine ganz mild, der andere aber ganz schrecklich ist. Er sagt so: „Wenn nämlich Christus, da wir noch schwach waren, zur rechten Zeit für Gottlose starb.“8 Die er schwach hieß, eben die gleichen nannte er gottlos. Etwas Leichtes scheint die Schwachheit zu sein, aber sie ist bisweilen so, daß sie Gottlosigkeit genannt wird. Wenn jedoch keine Schwachheit wäre, dann brauchte man keinen Arzt. Dieser heißt hebräisch Jesus, griechisch σωτήρ [sotēr], in unserer Sprache Heiland (salvator). Dieses Wort hatte die lateinische Sprache früher nicht, aber sie konnte es haben, wie sie es ja tatsächlich haben konnte, als sie wollte. Der vorausgehende Ausspruch des Apostels aber: „Als S. 183 wir noch schwach waren, ist er zur rechten Zeit für Gottlose gestorben,“9 hängt mit den beiden folgenden zusammen, in deren einem er uns Sünder, in deren anderem er uns Feinde Gottes nannte, indem er gleichsam je einander entsprechende Worte verwendete, die Sünder auf die Schwachen, die Feinde Gottes auf die Gottlosen hinbeziehend.
