6. Kapitel. Augustinus widerlegt die arianischen Einwände, die mit den Bestimmungen gezeugt und ungezeugt operieren.
S. 194 7. Diesen Darlegungen glauben die Häretiker mit dem Hinweis begegnen zu sollen, daß Vater sich zwar auf den Sohn bezieht und Sohn auf Vater, daß hingegen gezeugt und ungezeugt absolute, nicht beziehentliche Ausdrücke sind. Ungezeugt bedeutet nämlich nicht das gleiche wie Vater. Denn auch, wenn jemand keinen Sohn gezeugt hätte, würde nichts hindern, ihn ungezeugt zu nennen. Umgekehrt ist einer deshalb, weil er einen Sohn zeugt, nicht seinerseits ungezeugt; es zeugen ja die Menschen, die von anderen gezeugt sind, auch ihrerseits wieder andere. Die Häretiker sagen also: Vater bezieht sich auf den Sohn, Sohn auf den Vater, ungezeugt aber auf den Ungezeugten selbst, gezeugt auf den Gezeugten selbst. Wenn also eine absolute Aussage die Substanz betrifft, ungezeugt sein und gezeugt sein aber verschieden ist, dann liegt Substanzverschiedenheit vor. Wenn sie so argumentieren, dann begreifen sie nicht, daß sie zwar von dem Begriff ungezeugt etwas behaupten, was einer sorgfältigeren Untersuchung wert ist, da niemand deswegen Vater ist, weil er ungezeugt ist, und niemand deswegen ungezeugt ist, weil er Vater ist, und daß deshalb ungezeugt für einen absoluten, nicht für einen beziehentlichen Begriff gelten kann; in merkwürdiger Verblendung beachten sie jedoch nicht, daß gezeugt nur ein beziehentlicher Begriff ist. Denn deshalb ist jemand Sohn, weil er gezeugt ist, und deshalb ist jemand gezeugt, weil er Sohn ist. Wie sich Sohn auf Vater bezieht, so bezieht sich gezeugt auf einen Erzeuger. Wie sich umgekehrt Vater auf Sohn bezieht, so Erzeuger auf einen Erzeugten. An einen anderen Inhalt denkt man also bei dem Begriff Erzeuger, an einen anderen bei dem Begriff S. 195 ungezeugt. Wenngleich nämlich von Gott dem Vater beides ausgesagt werden kann, so bezieht sich die erste Bestimmung doch auf einen Gezeugten, das heißt auf den Sohn. Das leugnen auch die Häretiker nicht. Ungezeugt wollen sie jedoch für einen absoluten Begriff erklären. Sie sagen so: Wenn vom Vater eine absolute Bestimmung ausgesagt wird, die vom Sohne nicht ausgesagt werden kann, und jede solche Aussage die Substanz betrifft, ungezeugt aber eine absolute Bestimmung besagt, die man vom Sohne nicht aussagen kann, dann betrifft ungezeugt die Substanz, und der Sohn ist, weil man ihn nicht ungezeugt nennen kann, nicht von derselben Substanz wie der Vater. Dieser Sophistik kann man begegnen, indem man ihre Vertreter zwingt, zu sagen, worin der Sohn dem Vater gleich ist: in dem, was er in bezug auf sich selbst heißt, oder in dem, was er in bezug auf den Vater heißt. Nicht in seiner Beziehung zum Vater; denn in seiner Beziehung zum Vater heißt er Sohn; der Vater aber ist nicht Sohn, sondern eben Vater. Vater und Sohn können nämlich nicht in der Weise gegenseitig je zueinander selber in Beziehung gesetzt werden wie Freund und Nachbar. Freund steht nämlich in Beziehung zum Freunde. Wenn sie durch gleiche Liebe miteinander verbunden sind, so ist die Freundschaft in beiden gleich. Nachbar steht in Beziehung zu einem Nachbarn und, da sie einander in gleicher Weise benachbart sind — wie nämlich der erste dem zweiten, so ist der zweite dem ersten benachbart —, so ist die Nachbarschaft in jedem gleich. Weil jedoch der Sohn nicht in Beziehung steht zum Sohne, sondern zum Vater, so ist er nicht in seiner Beziehung zum Vater diesem gleich. Also ist er ihm im Bereiche des Absoluten gleich. Jede absolute Bestimmung betrifft indes die Substanz, also ist er ihm hinsichtlich der Substanz gleich. Daher haben beide dieselbe Substanz. Wenn aber der Vater ungezeugt heißt, so wird von ihm S. 196 ausgesagt, nicht was er ist, sondern was er nicht ist. Wenn aber eine beziehentliche Bestimmung verneint wird, dann wird sie nicht im Bereiche der Substanz verneint, weil eine beziehentliche Bestimmung keine substantielle ist.