Übersetzung
ausblenden
Dialog Octavius (BKV)
XIII.
S. 155 1. Wenn jemand indes eine Neigung zum Philosophieren hat, so möge jeder von euch, der sich dazu berufen fühlt, den Fürsten der Philosophie, Sokrates, nach Kräften nachahmen. Seine Antwort auf Fragen über himmlische Dinge ist bekannt: "Was über uns ist, ist nicht für uns". Mit Recht ist ihm deshalb vom Orakel das Zeugnis hervorragender Weisheit zuteil geworden. Was das Orakel, das hat er selbst gut eingesehen. Er wurde nämlich allen vorgezogen, nicht weil er alles wußte, sondern weil er erkannt hatte, daß er nichts wisse. So liegt im Eingeständnis der Unwissenheit die höchste Weisheit. 3. Aus dieser Quelle entsprang der sicher gehende Zweifel eines ArkesiIas und viel später eines Karneades und der meisten Akademiker in den höchsten Fragen. Das ist eine Richtung, nach welcher Ungelehrte ohne Gefahr und Gelehrte ruhmvoll philosophieren können. 4. Ferner, verdient nicht das zögernde Verfahren des Lyrikers Simonides die Bewunderung und Nachahmung aller? Dieser Simonides wurde vom Tyrannen Hiero nach seiner Ansicht über Wesen und Eigenschaften der S. 156 Götter gefragt. Da erbat er sich zuerst einen Tag Bedenkzeit, dann ließ er die Frist noch um zwei Tage verlängern, hierauf fügte er gemahnt noch ebensoviel hinzu. Der Tyrann fragte nach der Ursache solchen Zauderns. Er antwortete, je langsamer er bei der Untersuchung zu Werke gehe, desto mehr verschleiere sich ihm die Wahrheit. 5. Das ist auch meine Ansicht. Man muß zweifelhafte Dinge lassen, wie sie sind, und nicht kühn und keck sich für das eine oder andere entscheiden, während doch so viele große Männer über Zweifel nicht hinauskommen, Sonst greift entweder ein Altweiberglaube Platz oder wird jede Religiosität untergraben."
Edition
ausblenden
Marci Minucii Felicis Octavius
Caput XIII
ARGUMENTUM. — Concludit tandem Caecilius repudiandam religionem novam; nec de rebus dubiis temere pronuntiandum.
Quamquam, si philosophandi libido est, Socratem sapientiae principem, quisque vestrum tantus est, si potuerit, imitetur; ejus viri, quoties de coelestibus rogabatur, nota responsio est: QUOD SUPRA NOS, NIHIL AD NOS. Merito ergo de oraculo testimonium meruit prudentiae singularis, quod oraculum, idem ipse praesensit, idcirco universis esse praepositum; non quod omnia comperisset, sed quod nihil se scire didicisset: ita confessae imperitiae summa prudentia est. Hoc fonte defluxit Arcesilae, et multo post Carneadis, et Academicorum plurimorum in summis quaestionibus tuta dubitatio; quo genere philosophari et caute indocti possunt, et docti gloriose. Quid? Simonidis Melesii nonne admiranda omnibus et sectanda cunctatio? qui Simonides, cum de eo, quid et quales arbitraretur deos, ab Hierone tyranno quaereretur, primo deliberationi diem petiit, postridie biduum prorogavit, mox alterum tantum, admonitus, adjunxit: postremo, cum causas tantae morae tyrannus inquireret, respondit ille, quod sibi, quanto inquisitio tardior pergeret, tanto veritas fieret obscurior. Mea quoque opinione, quae sunt dubia, ut sunt, relinquenda sunt: nec, tot ac tantis viris deliberantibus, temere et audaciter in alteram partem ferenda sententia est, ne aut anilis inducatur superstitio, aut omnis religio destruatur.