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Dialog Octavius (BKV)
XIX.
S. 165 1. Ich höre auch die Dichter einen Vater der Götter und Menschen preisen und sagen, der Sterblichen Sinn richte sich danach, wie der Vater des Alls den Tag sende. 2. Was sagt Maro von Mantua? Spricht er nicht noch offener, treffender und wahrer: „Von Anbeginn“ nährt „den Himmel und die Erde“ und die übrigen Teile der Welt „der Geist von innen und bewegt sie der ihnen einwohnende Verstand. Daher haben das Geschlecht der Menschen und Tiere ihren Ursprung und alle andern Lebewesen“. Der gleiche Dichter nennt an einer andern Stelle diesen Verstand und Geist „Gott“. Seine Worte sind:
„Denn Gott durchdringe die Länder
Allzumal und die Strecken des Meers und die Höhen des Himmels.
Durch ihn werde der Mensch und das Tier, auch Regen und Feuer“.
Was anderes wird auch von uns Gott genannt, als Verstand und Vernunft und Geist?
3. Durchgehen wir, wenn es genehm ist, die Lehre der Philosophen. Du wirst finden, daß sie zwar in der Ausdrucksweise verschieden sind, aber im Grunde sich in dieser einen Ansicht zusammenfinden und übereinstimmen. 4. Ich übergehe jene alten, naturwüchsigen Philosophen, welche wegen ihrer Aussprüche sich den Namen der Weisen erworben haben. Thales aus Milet möge als erster von allen genannt sein; er hat zu allererst über himmlische Dinge eine Untersuchung angestellt. Dieser Thales von Milet nannte das Wasser den Urstoff der Dinge, Gott aber den Geist, welcher aus Wasser alles gebildet habe, eine Theorie von Wasser und Geist, viel zu hoch und zu erhaben, um von einem Menschen erfunden zu sein; es handelt sich S. 166 um eine göttliche Offenbarung. Du siehst: die Ansicht des Vaters der Philosophie steht ganz mit der unserigen im Einklang. 5. Anaximenes sodann und später Diogenes von Apollonia erklären die Luft für eine unendliche und unermeßliche Gottheit: auch sie haben also eine ähnlich übereinstimmende Ansicht über Gott. 6. Von Anaxagoras aber wird Gott der ordnende und sich bewegende unendliche Geist genannt und des Pythagoras Gott ist ein durch die gesamte Natur gehendes und ausgebreitetes geistiges Wesen, aus dem auch alle beseelten Wesen ihr Leben empfangen. 7. Daß Xenophanes das endlose, mit Verstand begabte All für Gott erklärt, ist bekannt; ebenso die Behauptung des Antisthenes, es gebe zwar viele Volksgötter, aber nur einen über allem stehenden Naturgott; ebenso daß Speusippus eine beseelte Kraft, die alles regiert, als Gott anerkennt. 8. Spricht weiterhin Demokritus, wiewohl er der Erfinder der Atomenlehre ist, nicht sehr oft von der Gebilde hervorbringenden Naturkraft und von der Vernunft als Gottheit? Ebenso nennt Straton die Naturkraft Gott. Auch der bekannte Epikurus, der sich die Götter entweder müßig oder nichtbestehend denkt, setzt doch die Naturkraft über sie. 9. Aristoteles wechselt in seinen Ansichten; dort bezeugt er S. 167 eine einzige Gewalt: er nennt bald den Geist, bald die Welt Gott, bald setzt er einen Gott über die Welt. Ebenso bleibt sich auch Theophrastus nicht gleich; er räumt bald der Welt, bald dem göttlichen Geist die erste Stelle ein. Auch Heraklides von Pontus schreibt der Welt freilich in wechselndem Sinne einen göttlichen Geist zu. 10. Zenon, Chrysippus und Kleanthes tragen ihrerseits verschiedene Ansichten vor, aber sie kommen alle schließlich auf eine Vorsehung zurück. Kleanthes nennt bald den Naturgeist und die Naturseele, bald den Äther, sehr oft die Vernunft Gott. Sein Lehrer Zenon stellt bald das natürliche und göttliche Gesetz und den Äther, bald die Vernunft an die Spitze aller Dinge. Er gerade faßt Juno als die Luft, Jupiter als den Himmel, Neptun als das Meer, Vulcan als das Feuer und die übrigen Volksgötter in ähnlicher Weise als Elemente auf und geht so dem irrigen Volksglauben zu Leibe und widerlegt ihn. 11. Fast das gleiche trägt Chrysippus vor. Er betrachtet die göttliche, mit Vernunft begabte Kraft, die Natur und Welt, bald auch das zwingende Verhängnis als Gott und folgt dem Zenon in der physiologischen Auslegung der Gedichte des Hesiod, Homer und Orpheus. 12. Auch Diogenes aus Babylon liebt diese Auslegung und Erklärung der Geburt des Jupiter, der Entstehung der Minerva und ähnlicher Dinge; sie seien Bezeichnungen für Weltvorgänge, nicht für Götter. 13. Xenophon, der Schüler des Sokrates, sagte vollends, die Gestalt des wahren Gottes könne nicht wahrgenommen werden und dürfe deshalb nicht erforscht werden. Nach dem Stoiker Ariston kann sie S. 168 überhaupt nicht begriffen werden. Beide fühlten die Majestät Gottes, indem sie an der Möglichkeit, ihn zu erkennen, verzweifelten. 14. Platon führt über Gott eine deutlichere Sprache in der Sache, wie in den Namen. Sie wäre ganz himmlisch, wenn sie nicht manchmal durch Beimischung des Volksglaubens entstellt wäre. In der Tat ist der Gott Platons im Timaeus schon seinem Namen nach der Erzeuger der Welt, der Bildner der Seele, der Schöpfer der himmlischen und irdischen Dinge. Freilich sei es schwer, so sagt er im Anfang, wegen seiner übergroßen, unglaublichen Macht einen Begriff für ihn zu finden, und unmöglich, sein Wesen, auch wenn man es entdeckt hat, öffentlich darzulegen.
15. Ungefähr das gleiche ist auch unsere Ansicht: wir kennen Gott und nennen ihn Vater aller Dinge, sprechen aber doch nicht von ihm öffentlich, außer wir werden deswegen angeklagt.
Edition
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Marci Minucii Felicis Octavius
Caput XIX
ARGUMENTUM. — Praeterea poetae illum divum hominumque Parentem, omnium rerum creatorem, mentem et spiritum appellarunt. Quin et ipsimet praestantiores philosophi eadem fere ac Christiani de Deo uno sensere.
Quid Mantuanus Maro? nonne apertius, proximius, verius? "Principio, ait, coelum et terras," et caetera mundi membra "spiritus intus alit, et infusa mens agitat. Inde hominum pecudumque genus" et quidquid aliud animalium. Idem alio loco, mentem istam et spiritum, Deum nominat; haec enim vera [impr. verba] sunt:
Deum namque ire per omnes
Terrasque tractusque maris coelumque profundum.
Unde homines, et pecudes, unde imber et ignis.
Quid aliud et a nobis Deus, quam mens et ratio et spiritus praedicatur? Recenseamus, si placet, disciplinas philosophorum, deprehendes eos, etsi sermonibus variis, ipsis tamen rebus in hanc unam coire et conspirare sententiam. Omitto illos rudes et veteres qui de suis dictis sapientes esse meruerunt. Sit Thales Milesius omnium primus, qui primus omnium de coelestibus disputavit. Is Milesius Thales rerum initium aquam dixit; Deum autem eam mentem quae ex aqua cuncta formaverit. Eho! altior et sublimior aquae et spiritus ratio, quam ab homine potuerit inveniri; a Deo traditum. Vides Philosophi principalis nobiscum penitus opinionem consonare. Anaximenes deinceps, et post Apolloniates Diogenes, aera Deum statuunt, infinitum et immensum. Horum quoque similis de divinitate consensio est. Anaxagorae vero descriptio et motus infinitae mentis Deus dicitur. Et Pythagorae Deus est animus, per universam rerum naturam commeans et intentus: ex quo etiam animalium omnium vita capiatur. Xenophanem notum est omne infinitum cum mente Deum tradere; et Antisthenem, populares deos multos, sed naturalem unum praecipuum; Zeuxippum [imp. Spensippum], vim naturalem, animalem, qua omnia regantur, Deum nosse. Quid Democritus? quamvis atomorum primus inventor, nonne plerumque naturam, quae imagines fundat, et intelligentiam, Deum loquitur? Straton quoque et ipse naturam: etiam Epicurus ille qui deos aut otiosos fingit aut nullos, naturam tamen superponit. Aristoteles variat, et adsignat tamen unam potestatem. Nam interim mentem, mundum interim Deum dicit, interim mundo Deum praeficit. Aristoteles Ponticus variat, alias mundo, alias menti divinae tribuens principatum. Heraclides Ponticus quoque Deo divinam mentem, quamvis varie, adscribit. Theophrastus, et Zenon, et Chrysippus, et Cleanthes, sunt et ipsi multiformes; sed ad unitatem providentiae omnes revolvuntur. Cleanthes enim mentem, modo animum, modo aethera, plerumque rationem Deum disseruit. Zenon, ejusdem magister, naturalem legem atque divinam, et aethera interim, interdumque rationem, vult omnium esse principium. Item interpretando Junonem aera, Jovem coelum, Neptunum mare, ignem esse Vulcanum, et caeteros similiter vulgi deos elementa esse monstrando, publicum arguit graviter et revincit errorem. Eadem fere Chrysippus, vim divinam, rationalem naturam, et mundum interim, et fatalem necessitatem Deum credit, Zenonemque interpretatione physiologiae in Hesiodi, Homeri Orpheique carminibus imitatur. Babylonio etiam Diogeni disciplina est exponendi et disserendi Jovis partum et ortum Minervae, et hoc genus caeterarum rerum vocabula esse, non deorum. Nam Socraticus Xenophon formam Dei veri negat videri posse, et ideo quaeri non oportere. Aristo Stoicus [impr. Chius], comprehendi omnino non posse. Uterque majestatem Dei, intelligendi desperatione; senserunt. Platoni apertior de Deo et rebus ipsis et nominibus oratio est; et quae tota esset coelestis, nisi persuasionis civilis nonnumquam admixtione sordesceret. Platoni itaque in Timaeo Deus est ipso suo nomine mundi parens, artifex animae, coelestium terrenorumque fabricator; quem et invenire difficile, prae nimia et incredibili potestate; et, cum inveneris, in publicum dicere impossibile praefatur. Eadem fere et ista quae nostra sunt nam et Deum novimus et parentem omnium dicimus, et numquam publice, nisi interrogati, praedicamus.