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Leben des heiligen Bekennerbischofs Martinus von Tours (BKV)
26.
Das Büchlein drängt jetzt aber zum Schluß, die Erzählung geht ihrem Ende entgegen, allerdings nicht, weil es an Stoff mangelte und über Martinus nichts mehr zu sagen wäre, sondern weil es mir ergeht, wie einem nachlässig gewordenen Dichter1 : gegen Schluß der Arbeit werde ich müde und unterliege, erdrückt durch die Menge des Stoffes. Seine äußeren Taten konnte man ja schlecht und recht in Worte fassen, allein das muß ich gestehen, keine menschliche Rede vermag sein inneres Leben, seinen gewöhnlichen Wandel, seine Seelenverfassung zu schildern, die immer auf Himmlisches gerichtet war. Seine kluge Beharrlichkeit in S. 52Abbruch und Fasten zu beschreiben, seine Meisterschaft im Wachen und Beten, den Eifer, womit er die Nächte wie den Tag verbrachte, dem Dienste Gottes auch nicht einen Augenblick entzog, den er dem Müßiggang oder der Schlichtung von Streitsachen geweiht hätte, den Eifer, womit er sich nur so viel Speise und Trank vergönnte, als die Natur unbedingt erforderte — das alles könnte, ich muß es gestehen, nicht einmal ein Homer schildern, wenn er, wie man sagt, von den Toten erstünde2 : so groß ist alles an Martinus, daß es sich nicht in Worte fassen läßt. Keine Stunde, kein Augenblick verstrich, wo er nicht dem Gebete obgelegen oder mit Lesung sich beschäftigt hätte. Doch wenn er auch las oder sonst mit einer Arbeit beschäftigt war, ließ sein Geist nie vom Gebete ab. Wie ein Schmied bei seiner Arbeit immer wieder den Hammer zu seiner Erleichterung auf den Amboß fallen läßt, so betete Martinus ohne Unterbrechung, auch wenn er anscheinend etwas anderes tat. O wahrhaft glücklicher Mann, der kein Falsch kannte3 , der keinen verurteilte, keinen verdammte, niemand Böses mit Bösem vergalt! Er hatte sich ja bei allen Beleidigungen eine solche Geduld zur Gewohnheit gemacht, daß er, obwohl Bischof, selbst von niederen Klerikern, ohne zu strafen, Beleidigungen hinnahm; keinen entsetzte er deshalb je seines Amtes, noch schloß er einen, soviel an ihm lag, von seiner Liebe aus.
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Vita Sancti Martini
26.
(1) Sed iam finem liber postulat, sermo claudendus est, non quod omnia, quae de Martino fuerint dicenda, defecerint, sed quia nos, ut inertes poetae, extremo in opere neclegentes, uicti materiae mole succumbimus. (2) Nam etsi facta illius explicari uerbis utcumque potuerunt, interiorem uitam illius et conuersationem cotidianam et animum caelo semper intentum nulla umquam – uere profiteor – nulla explicabit oratio. Illam scilicet perseuerantiam et temperamentum in abstinentia et in ieiuniis, potentiam in uigiliis et orationibus, noctesque ab eo perinde ac dies actas nullumque uacuum ab opere Dei tempus, quo uel otio indulserit uel negotio. (3) Sed ne cibo quidem aut somno, nisi quantum naturae necessitas cogebat, uere fatebor, non si ipse, ut aiunt, ab inferis Homerus emergeret, posset exponere: adeo omnia maiora in Martino sunt, quam ut uerbis concipi queant. Numquam hora ulla momentumque praeteriit, quo non aut orationi incumberet aut insisteret lectioni, quamquam etiam inter legendum aut si quid aliud forte agebat, numquam animum ab oratione laxabat. (4) Nimirum ut fabris ferrariis moris est, qui inter operandum pro quodam laboris leuamine incudem suam feriunt, ita Martinus etiam, dum aliud agere uideretur, semper orabat. (5) O uere uir beatus, in quo dolus non fuit: neminem iudicans, neminem damnans, nulli malum pro malo reddens. Tantam quippe aduersum omnes iniurias patientiam adsumpserat, ut, cum esset summus sacerdos, inpune etiam ab infimis clericis laederetur, nec propter id eos aut loco umquam amouerit aut a sua, quantum in ipso fuit, caritate reppulerit.