6. Die eitle Ruhmsucht weicht nicht ganz dem wohlthätigen Einflusse der Einsamkeit.
Auch wenn Jemand, um der Ruhmsucht zu entgehen, in der Einsamkeit die Gemeinschaft mit allen Sterblichen flieht, so läßt sie doch nicht ab, ihn zu verfolgen. Und je mehr Einer die ganze Welt meidet, um so heftiger bedrängt sie ihn. Den Einen versucht sie zur Selbstüberhebung, weil er Arbeit und Beschwerden so geduldig erträgt, den Andern, weil er zum Gehorsam so bereit ist, den Andern, weil er die Übrigen an Demuth übertrifft. Der Eine wird durch den Reichthum seines Wissens, der Andere durch seinen Eifer in der geistlichen Lesung, der Andere durch die Länge der Nachtwachen versucht. Und gerade durch die eigenen Tugenden, welche zusammen die Pflichten des Lebens ausmachen, strebt diese Krankheit uns zu verwunden, indem sie in ihnen kleine Anstöße zu unserm Verderben sucht. Wer nämlich den Weg der Frömmigkeit wandeln will, dem stellen die Feinde gerade nur auf dem Wege nach, den er wandelt, S. 230 und verbergen die Schlingen des Truges nach jenem Ausspruche Davids:1 „Auf dem Wege, den ich wandelte, verbargen sie mir die Schlinge.“ Denn gerade auf diesem Wege der Tugenden, den wir wandeln, um zum Ziele höherer Vollkommenheit zu eilen, werden wir durch unsere Erfolge stolz gemacht, straucheln und verwickeln uns in die Schlingen der eitlen Ruhmsucht, lassen die Füße unserer Seele binden und fallen um. Und so kommt es, daß wir, die wir in dem Kampfe mit den Gegnern nicht überwunden werden konnten, durch die Höhe unseres Triumphes besiegt werden, oder, was eine andere Art Täuschung ist, daß wir wenigstens das Maß unserer Enthaltsamkeit und unsere Kräfte überschreiten und die Beharrlichkeit in unserem Berufe durch bald eintretende Körperschwäche verlieren.
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Ps. 141, 4 [Hebr. Ps. 142, 4]. ↩