6. Die Sünde des Stolzes ist in der Ordnung des Kampfes die letzte, jedoch der Zeit und dem Ursprunge nach die erste.
Es erhellt aus den Beispielen und Zeugnissen der heiligen Schrift ganz deutlich, daß die Sünde des Stolzes wohl in der Reihe der Kämpfe zuletzt steht, jedoch dem Ursprunge nach früher zu stehen kommt, da sie aller Sünden und Laster Anfang ist, und daß sie ferner nicht, wie die übrigen Sünden, bloß die ihr entgegenstehende Tugend, nämlich nur die Demuth vernichtet, sondern daß sie auch die Mörderin aller Tugenden zumal ist, und endlich nicht nur Diejenigen versucht, die nur geringe oder mittelmäßige Fortschritte in der Tugend gemacht haben, sondern hauptsächlich Jene, die auf dem Gipfel der Tugend stehen. Denn also spricht von diesem Geiste der Prophet:1 „Seine Speise ist S. 245 ausgewählt.“ Und obwohl der selige David die geheimen Gedanken seines Herzens mit solcher Umsicht bewachte, daß er zu Dem, welchem die Geheimnisse seines Gewissens nicht verborgen waren, rufen konnte:2 „Herr, nicht hat sich erhoben mein Herz, und nicht sind stolz geworden meine Augen, und nicht erging ich mich in großen, in wunderbaren Sachen über mir; fürwahr, demüthig dacht’ ich;“ und ferner:3 „Nicht soll wohnen inmitten meines Hauses, wer Übermuth verübt“: so war er sich doch bewußt, wie schwierig auch für die Vollkommenen die Wachsamkeit in dieser Beziehung sei. Darum wagt er sie nicht von seinen eigenen Bemühungen zu hoffen, sondern fleht im Gebete die Hilfe Gottes an, daß es ihm vergönnt sei, unverwundet dem Geschoße dieses Feindes zu entrinnen, indem er spricht:4 „Nicht trete auf mich der Fuß des Übermuthes.“ Denn er fürchtet der Strafe zu verfallen, welche den Hochmüthigen angedroht ist mit den Worten:5 „Gott widersteht den Stolzen;“ und ferner:6 „Unrein ist vor Gott Jeder, der sein Herz erhebt.“