29. Zeichen, an denen man das Vorhandensein des fleischlichen Stolzes in der Seele erkennt.
Um alles über diese Art Hochmuth bis jetzt Gesagte kurz zusammenzufassen, wollen wir, soweit Dieß uns möglich S. 267 ist, einige Kennzeichen desselben zusammenstellen, um für Diejenigen, welche nach Belehrung in der Vollkommenheit dürsten, gewissermaßen die Grundzüge desselben aus den Regungen des äusseren Menschen darzustellen. Zu diesem Zwecke halte ich es für nothwendig, gerade Dieses in wenigen Worten zu enthüllen, damit wir um so vollständiger zu erkennen vermögen, an welchen Merkmalen wir den Stolz kennen lernen und erfassen können. Sind die Wurzeln dieser Leidenschaft bloßgelegt, an die Oberfläche gezogen, mit Augen wahrgenommen und geschaut, so kann man denselben leichter ausreissen oder vermeiden. Dann nämlich wird man dieser schädlichen Krankheit ganz aus dem Wege gehen können, wenn man gegen ihre verderbliche Fieberhitze und ihre schädlichen Anfälle nicht zu spät, wann sie schon zu herrschen beginnt, seine Wachsamkeit richtet, sondern wenn wir sofort, sobald wir, so zu sagen, die ihr vorausgehenden Schatten bemerken, mit fürsorglicher und weiser Klugheit ihr zuvorkommen. Denn aus der äusseren Haltung des Menschen erkennt man den inneren Zustand desselben. An folgenden Merkmalen läßt sich klar der fleischliche Stolz, wie wir ihn vorhin nannten, erkennen: Vorherrschend ist in seinem Reden das Schreien, in seinem Schweigen das Abstoßende, in seiner Freude das stolze und ausgelassene Lachen, im Ernste eine unvernünftige Trauer, in der Antwort Zorn, häufiges Schwätzen und oft plötzlich hervorbrechende gehaltlose Worte. Geduld geht ihm ab, Liebe ist ihm fremd, er ist verwegen im Schmähen, demüthig im Ertragen von Schmähungen, schwierig im Gehorchen, ausser wenn dabei ihm seine Wünsche und seine Einsicht zuvorkommen, unversöhnlich beim Anhören einer Ermahnung, schwach, wo es gilt, seinem Willen Abbruch zu thun, ganz unbeugsam, wenn er Andern sich unterordnen soll, und stets bestrebt, seine Behauptungen aufrecht zu erhalten, ohne seinerseits sich dazu zu verstehen, den Ansichten eines Anderen zu weichen. So wird er auch zur Annahme eines heilsamen S. 268 Rathes unfähig und glaubt in Allem lieber seinem als der Vorgesetzten Urtheil.
