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Œuvres Jean Cassien (360-435) Von den Einrichtungen der Klöster (BKV)
Viertes Buch: Regeln für die Novizen.

30. Große Demuth und Selbstverleugnung des Abtes Pynupius.

Es zwingen uns die engen Grenzen dieses Buches, zum Schlusse zu eilen; doch das hohe Gut des Gehorsams, der unter den übrigen Tugenden die erste Stelle einnimmt, läßt nicht zu, daß wir die Thaten jener Männer ganz verschweigen, die durch ihn berühmt geworden sind. Deßwegen wollen wir Beides passend vereinigen, d. h. sowohl der Kürze uns befleissen, als auch dem Wunsche und Vortheile der Wißbegierigen dienen und nur noch ein Beispiel der Demuth anführen, das nicht von einem Anfänger, sondern von einem vollkommenen Manne, und zwar von einem Abte geliefert wurde und daher nicht nur die Jüngeren zu unterrichten, sondern auch die Älteren beim Lesen desselben zur vollkommenen Tugend des Gehorsams anzuspornen geeignet ist.

Wir kannten nämlich den Abt Pynupius, welcher Vorsteher eines sehr großen Klosters in Aegypten, nicht weit von der Stadt Panephysis, war und wegen der Ehrfurcht, die man für sein frommes Leben, sein Alter und seine priesterliche Würde hegte, bei Allen in hoher Achtung und Verehrung stand. Als er nun sah, daß gerade dieser Umstand seinem heissen Verlangen nach Demuth entgegenstand und er keine Gelegenheit fand, die von ihm sehnlichst gewünschte Unterwürfigkeit zu bethätigen, floh er heimlich und allein aus dem Kloster und kam in die entlegensten Gegenden der Thebais. Dort legte er sein Mönchsgewand ab, zog ein weltliches Kleid an und suchte ein Kloster der S. 84 tabennensischen Mönche auf, das er als das strengste von allen kannte. Hier hoffte er wegen der großen Entfernung des Ortes unbekannt zu bleiben oder wegen der Größe des Klosters und großen Anzahl der Brüder sich verborgen halten zu können. Lange harrte er an der Klosterpforte, warf sich allen Brüdern zu Füßen und bat sie flehentlich um Aufnahme. Diese verfehlten nicht, ihm eine vielfach verächtliche Behandlung zu Theil werden zu lassen. Sie warfen ihm vor, er wolle als abgelebter Greis, der sein ganzes Leben in der Welt zugebracht, am Ende seines Lebens in das Kloster treten, und auch das beabsichtigte er nicht um eines frommen Lebens willen, sondern gezwungen durch Hunger und Armuth. Doch nahmen sie ihn endlich auf und überließen ihm, als einem zu jeder Arbeit unbrauchbaren Greise, die Pflege und Bewachung des Gartens. Unter der Leitung eines jüngeren Bruders, dessen Führung man ihn anvertraut hatte, unterzog er sich dieser Aufgabe und pflegte mit solchem Gehorsam die von ihm erstrebte Tugend der Demuth, daß er nicht nur die zur Pflege und Bewahrung des Gartens erforderlichen, sondern auch alle jene Dienste, welche den übrigen Brüdern als schwierig oder beschämend oder als ein Gegenstand des Abscheues galten, täglich mit der größten Emsigkeit verrichtete. Viele verrichtete er auch, Nachts aufstehend, so heimlich ohne irgend Jemandes Beisein und Wissen unter dem Schutze der Finsterniß, daß gar Niemand den Urheber der Arbeit zu erkennen vermochte. Als er während seiner dortigen dreijährigen Verborgenheit von Brüdern, die man über ganz Aegypten ausgesandt, überall gesucht wurde, ward endlich ein aus Aegypten gekommener Bruder seiner ansichtig. Doch vermochte dieser ihn wegen seiner demüthigen Kleidung und seines niedrigen Dienstes kaum zu erkennen. Denn zur Erde gebeugt lockerte er mit der Hacke den Boden für Kohl, dann brachte er auf seinen Schultern Dünger herbei und legte ihn an die Wurzeln des Kohles. Obwohl der Bruder bei diesem Anblicke lange in Zweifel war, ob er in ihm seinen Abt wieder erkenne, trat er doch zuletzt näher heran, erforschte S. 85 sorgfältig seine Gesichtszüge und den Ton seiner Stimme und warf sich ihm dann zu Füßen. Anfangs zwar versetzte er alle Anwesenden in Staunen darüber, daß er solche Ehrfurcht Dem bezeige, der bei ihnen für einen Novizen und, weil er erst vor Kurzem die Welt verlassen habe, für den letzten Bruder galt. Bald jedoch dünkte ihnen die Sache noch wunderbarer, als der Bruder sofort seinen Namen verrieth, der auch bei ihnen in hohem Rufe stand. Alle Brüder baten ihn um Verzeihung wegen der früheren Unwissenheit, in der sie ihn so lange unter die Jüngeren und Einfältigen gezählt hätten, während er voll Unwillen weinte, weil er durch den Neid des Teufels um den ihm geziemenden demüthigen Wandel betrogen sei, den er so lange ersehnt und endlich zu seiner Freude gefunden habe, und weil er nicht verdient habe, in der von ihm erstrebten Unterwürfigkeit zu leben. Hierauf führte man ihn in sein Kloster zurück und bewachte ihn mit der größten Sorgfalt, damit er nicht wieder auch von dort irgend wohin entfliehe.

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