10. Er tritt nun streng gegen Jenen auf, weil er trotz seines Abfalles von der katholischen Religion noch gewagt habe, in der Kirche zu lehren, zu opfern und Recht zu sprechen.
S. 563 Nun aber sage ich und frage dich, ja dich selbst: Sage mir, ich bitte dich, ob du meinst, wenn Einer von den Juden oder Heiden die Bekenntnißformel des katholischen Glaubens läugnen würde, daß Dieser zu hören sei? Gewiß nicht. Wie nun, wenn Dasselbe bei einem Häretiker oder Abtrünnigen der Fall ist? Dann noch viel weniger; weil es unerträglicher ist, die erkannte Wahrheit zu verlassen, als die ungekannte zu läugnen. Zwei also sehen wir in dir: Den Katholiken und den Apostaten, und zwar zuerst den Katholiken und dann den Abtrünnigen. Bestimme nun selbst, wem wir folgen sollen; denn du kannst nicht den Einen, der in dir ist, vorziehen, ohne den Andern selbst zu verdammen. Sagst du also, es werde von dir Jener verdammt, der du früher warst, verdammt das katholische Bekenntniß, verdammt das Bekenntniß Aller, verdammt der Glaube? Wie aber nun? O unwürdige That, o unerträglicher Schmerz! Was thust denn du in der katholischen Kirche, du von den Katholiken Abgefallener? Was schändest du die Versammlung des Volkes, der du den Glauben des Volkes verläugnet hast? Überdieß hast du gewagt, am Altare zu stehen, den Richterstuhl zu besteigen, dein so schamloses und treuloses Antlitz dem Volke Gottes zu zeigen, die Kanzel einzunehmen, das Priesterthum dir anzumassen und dich als Lehrer auszugeben! Wozu lehrst denn du Christen, da du nicht an Christus glaubst, da du ihn, in dessenTempel sie sind, in seiner Gottheit läugnest? Und nach all Diesem, o Wahnsinn, o Raserei, hältst du dich für einen Lehrer und Bischof, da du ja gerade Jenen selbst, o unselige Blindheit, Jenen selbst, sage ich, als Gott läugnest, dessen Priester zu sein du behauptest! Aber ich komme ausser mir vor Schmerz. Was sagt also das Bekenntniß, oder was hast du selbst darin gesagt? In der That: Der Herr Jesus Christus, wahrer Gott vom wahren Gott, gleichwesentlich dem Vater, durch welchen die Zeit erschaffen S. 564 und Alles gemacht wurde, gerade er sei wegen uns gekommen und aus Maria der Jungfrau geboren worden. Wenn du also sagtest, Gott sei aus Maria geboren worden, warum verwirfst du dann Maria als Gottesmutter? Wenn du gesagt hast, Gott sei gekommen, wie läugnest du jetzt, daß Derjenige Gott sei, welcher kam? Du hast im Bekenntnisse gesagt: Ich glaube an Jesus Christus, den Sohn Gottes, ich glaube an den wahren Gott vom wahren Gott, gleichwesentlich dem Vater, der wegen uns kam und geboren wurde aus Maria der Jungfrau, gekreuzigt unter Pontius Pilatus und begraben wurde. Jetzt aber sagst du: „Wenn wir sagen: „„Ich glaube an Gott, das Wort, den eingebornen Sohn Gottes, gezeugt aus dem Vater, gleichwesentlich mit dem Vater, der herabkam und begraben wurde,““ ist da nicht sogleich schon unser Gehör verwundet?“ Siehst du also, daß du allen Glauben an das katholische Bekenntniß, an das katholische Geheimniß, völlig zerstörst und mit der Wurzel ausreissest? O Laster, o Scheusal, das, wie Jener1 sagt, an die Grenzen der Erde versetzt werden sollte! Ja Dieß wird mit mehr Recht von dir gesagt, daß du nemlich in jene Einöde gehen solltest, wo du Keinen finden würdest, den du verderben könntest. Also der Glaube unseres Heiles, das Geheimniß der kirchlichen Hoffnung, gilt dir wie ein Schlag für dein Gehör und deine Ohren? Aber wie konntest du dann doch einst, als du zur Taufe eiltest, diese Geheimnisse mit unverletzten Ohren hören? Warum sind denn deine Ohren nicht verwundet worden, als die Lehrer der Kirche dich unterrichteten? Ebenso hast du sicher ohne jede Wunde das doppelte Geschäft des Mundes und der Ohren verrichtet, als du das von Andern Gehörte aussprachest und dich dabei selbst hörtest. Wo waren damals diese Wunden deiner Ohren, wo dieser Schlag auf dein Gehör? Warum hast du nicht widersprochen und Rechenschaft gefordert? Aber freilich ganz nach deinem Belieben S. 565 und deiner Leidenschaft bist du, wenn es dir gefällt, ein Jünger der Kirche, und wenn es dir anders gefällt, ihr Feind; Katholik, wenn du willst, und wenn anders, ein Abtrünniger. Freilich du bist ein so würdiger Gewährsmann, daß du die Kirchen nach dir ziehst, nach welcher Seite immer du dich wenden magst, so daß dein Wille Gesetz unseres Lebens sein muß, und du durch deine Veränderlichkeit das menschliche Geschlecht änderst, oder weil du nicht sein willst, was Alle sind, diese sein müssen, was du willst. O, das ist freilich eine herrliche Autorität, wenn die Welt aufhören muß, zu sein, was sie war, weil du nicht bist, was du warst!
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Cicero, Act. 4. in Verrem. ↩