22. Die hypostatische Verbindung macht, daß Das, was in Christo zum Fleische gehört, Gott zugeschrieben wird.
Wie wird nun, da nach unserm eigenen Bekenntnisse der Gottmensch vor der Empfängniß und Geburt der Jungfrau überhaupt nicht war, dennoch Christus, der von dir bloßer Mensch genannt wird, in den hl. Schriften als Gott ohne Anfang gepredigt, und ist eine solche Einheit des Menschen und Gottes zu lesen, daß sowohl der Mensch dem S. 578 Gotte immer gleich ewig gewesen zu sein, als auch Gott mit dem Menschen zugleich gelitten zu haben scheint, während doch sicherlich zu glauben ist, daß weder der Mensch ohne Anfang noch Gott leidensfähig sein kann? Es ist eben so, wie wir in dem bisher Geschriebenen bewiesen haben, daß der mit dem Menschen, als mit seinem Leibe,1 geeinte Gott nicht nach menschlicher Meinung einen Unterschied zwischen Mensch und Gott machen läßt. Er wollte durchaus nicht zugeben, daß von Irgendeinem ein Anderer für den Sohn des Menschen, ein Anderer für den Sohn Gottes gehalten würde, sondern verbindet und verkörpert in allen heiligen Schriften den göttlichen Menschen so mit Gott, daß man weder in der Zeit den Menschen von Gott, noch im Leiden Gott vom Menschen unterscheiden kann. Denn wenn du auf die Zeit siehst, so findest du immer den Sohn des Menschen mit dem Sohne Gottes, wenn auf das Leiden, so wirst du immer den Sohn Gottes mit dem Sohne des Menschen finden, nemlich Christus, den Sohn des Menschen und Gottes so in sich geeint und untheilbar, daß, soweit es auf die Ausdrücke der hl. Schrift ankommt, weder der Zeit nach der Mensch von Gott, noch dem Leiden nach Gott von dem Menschen getrennt werden könnte. Daher jene Stelle: „Niemand steigt in den Himmel hinauf, als wer vom Himmel herabstieg, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Während hier der Sohn Gottes auf Erden redete, bezeugte er, der Sohn des Menschen sei im Himmel, und versicherte, ebenderselbe Sohn des Menschen, von welchem er gesagt habe, daß er in den Himmel aufsteigen werde, sei auch zuvor vom Himmel herabgestiegen. Oder jenes andere Wort:2 „Wenn ihr den Menschensohn werdet hinaufsteigen sehen, wo er vorher war,“ wo er Den, S. 579 welcher aus dem Menschen geboren ist, nennt, und lehrt, daß er immer im Himmel gewesen sei. Aber auch der Apostel predigt, was die Zeit betrifft, daß durch Christus Alles erschaffen sei, denn er sagt: „Ein Herr Jesus Christus, durch welchen Alles ist.“ in Anbetracht aber des Leidens der Majestät bezeichnet er den Herrn als Gekreuzigten, da er sagt: „Denn wenn sie (ihn) erkannt hätten, würden sie nie den Herrn der Majestät gekreuzigt haben.“ Deßhalb nennt ihn auch das Symbolum den eingeborenen und erstgeborenen Herrn Jesus Christus, den wahren Gott vom wahren Gott, gleichwesentlich mit dem Vater, den Schöpfer aller Dinge und bezeugt dann doch, daß er aus der Jungfrau geboren, daß er gekreuzigt und begraben worden sei. Er gliedert also den Sohn Gottes und des Menschen so zusammen und einigt so sehr Gott und Mensch, daß weder der Zeit nach irgend eine Trennung geschehen kann, noch im Leiden, da gelehrt wird, daß ebenderselbe Herr Jesus Christus durch die Ewigkeit der Dauer Gott und durch die Erduldung der Leiden Mensch gewesen sei. Obwohl nemlich weder der Mensch anfangslos noch Gott leidensfähig genannt werden darf, so wird doch in dem Einen Herrn Jesus Christus der Mensch als ewig und Gott als gestorben verkündet. Siehst du also, daß Christus Alles ist und sein Name die Bezeichnung beider Naturen, weil er, zugleich als Mensch und Gott geboren, Alles so in sich umfaßt, daß in seinem Namen, wie wir sehen, Nichts fehlt? Es ist also die Ewigkeit des Menschen vor der Geburt aus der Jungfrau in der Vergangenheit nicht dieselbe wie die Gottes; sondern weil in dem Schooße der Jungfrau Gott mit dem Menschen vereinigt wurde, so erfolgte, daß in Christus das Eine ohne das Andere durchaus nicht genannt werden kann.