9. Im Irrthum seien Jene, welche sagten, daß die Geburt Christi verborgen gewesen sei, da sie selbst dem Patriarchen Jakob deutlich gezeigt worden.
Aber du entschuldigst ja die dem Herrn in der niedrigen Ehrenerweisung zugefügte Beleidigung damit, daß du sagst: S. 599 „Wie ein Ebenbild des verborgenen Gottes.“ Damit, daß du ihn Ebenbild nennst, stellst du ihn in die Lage der übrigen Menschen; mit den Worten des „verborgenen Gottes“ thust du seiner so gewissen Würde Abbruch. Denn David sagt:1 „Gott wird sichtbar kommen, unser Gott, und er wird nicht schweigen.“ Und er kam in der That und schwieg nicht, da er ja, bevor er selbst nach seiner Geburt Etwas sprach, seine Ankunft durch irdische und himmlische Zeugen gleichmäßig verkündete, so daß der Stern sie anzeigte, die Magier anbeteten, die Engel Botschaft brachten. Was suchst du noch mehr? Seine Stimme schwieg noch auf Erden und schon rief seine Ehre am Himmel. Du behauptest also, es sei Gott in ihm verborgen gewesen und noch verborgen; aber Dieß haben nicht die Propheten, nicht die Patriarchen, kurz das ganze Gesetz nicht vorausgesagt; denn sie sagten nicht, daß Derjenige verborgen sein werde, der nach ihrer Prophezeiung Allen erscheinen werde. Du irrst, o unselige Blindheit, da du Stoff zum Lästern suchst und nicht findest. Du sagst, daß er auch nach seiner Ankunft verborgen gewesen sei; ich lasse aber nicht einmal gelten, daß er verborgen war, ehe er kam. Da ist jener herrIiche Patriarch, welchem die Schauung des gegenwärtigen Gottes einen Namen beilegte, da er durch dieselbe von der Benennung des „Hinterlistigen“ (Jakob) zu dem Namen Israel gelangte! War ihm vielleicht das Geheimniß des Gottes, der aus der Jungfrau geboren werden sollte, verborgen, während er doch, nachdem er das Mysterium der zukünftigen Menschwerdung aus dem Kampfe eines mit ihm ringenden Menschen erkannt hatte, ausrief:2 „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist gerettet worden“? Was hatte er denn, ich bitte dich, gesehen, um glauben zu können, er habe Gott gesehen? Hatte sich ihm Gott unter Blitz und Donner dargeboten, oder hatte im aufgeschlossenen Himmel sich ihm das leuchtende Antlitz der S. 600 Gottheit gezeigt? Wahrhaftig Nichts von alle Dem, sondern vielmehr sah er einen Menschen sich gegenüber und erkannte Gott. O, wahrhaftig würdig ist er des erlangten Namens, da er mehr durch die innern als durch die äussern Augen die Würde des von Gott gegebenen Namens verdiente. Er sah eine menschliche Gestalt mit sich ringen und bezeugte, daß er Gott schaue. Er wußte in der That, daß jene menschliche Scheingestalt wahrhaft Gott sei, weil Gott in jener Gestalt, in welcher er damals geschaut worden war, später wirklich kommen wollte. Was wundern wir uns übrigens, wenn ein so großer Patriarch unzweifelhaft glaubte, was ihm Gott selbst unmittelbar so deutlich zeigte, daß er sagt: „Ich sah Gott von Angesicht zu Angesicht und meine Seele ist gerettet worden.“ Was hatte ihm denn Gott von der gegenwärtigen Gottheit gezeigt, daß er sagte, es sei ihm das Angesicht Gottes enthüllt worden? Es war ihm ja dem Anscheine nach nur ein Mensch erschienen, welchen er auch im Kampfe überwunden hatte. Aber Gott beabsichtigte sicherlich durch die vorausgehenden Anzeichen des Kommenden Dieses, daß es Niemanden geben solle, welcher nicht an den aus dem Menschen geborenen Gott glauben möchte, da schon der Patriarch Gott in menschlicher Gestalt gesehen hatte.