5.
O du Tor! Wer hat denn jemals Märtyrer S. 308angebetet?1 Wer hat in einem Menschen Gott gesehen? Haben nicht Paulus und Barnabas ihre Kleider zerrissen, als die Lykaonier sie für Jupiter und Merkur hielten und ihnen Opfer darbringen wollten? Haben sie nicht darauf hingewiesen, daß sie nur Menschen seien?2 Nicht als ob sie nicht besser wären als die längst gestorbenen Menschen Jupiter und Merkur, sondern weil ihnen gemäß irrigem heidnischen Gebrauche Gott geschuldete Ehre erwiesen werden sollte. Ein gleiches lesen wir von Petrus, der den Cornelius, als er ihn anbeten wollte, mit der Hand emporrichtete und sprach: „Stehe auf; denn auch ich bin ein Mensch!“3 Und du wagst zu sagen: „Du verehrst jenes Etwas — ich weiß nicht was — in einem kleinen zum Umhertragen dienenden Gefäße“? Ich wünsche zu wissen, was jenes „Ich weiß nicht“ bedeutet. Drücke dich deutlicher aus, nimm kein Blatt vor den Mund, wenn du schimpfst über jenen Staub, der in einem kleinen kostbaren Gefäße, in ein Leintuch gehüllt, aufbewahrt wird. Es schmerzt ihn, daß die Reliquien der Märtyrer mit einem kostbaren Schleier bedeckt werden, daß man sie nicht in Lumpen und grobe Tücher zusammenbindet oder gar auf den Düngerhaufen wirft, damit allein der versoffene und verschlafene Vigilantius angebetet werde. Sind wir etwa Gottesschänder, wenn wir die Basiliken der Apostel besuchen? War der Kaiser Constantius ein Gottesschänder, der die Reliquien der heiligen Andreas, Lukas und Timotheus4 nach Konstantinopel überführen ließ, in deren Nähe die Dämonen heulten5 , deren Gegenwart jene zu verspüren bekommen, von denen Vigilantius besessen ist? Soll am Ende auch noch der Kaiser Arkadius ein Gottesschänder genannt werden, der S. 309die Gebeine des seligen Samuel nach langer Zeit von Judäa nach Thracien hat bringen lassen?6 Sind nicht alle Bischöfe als Gottesschänder, und njcht bloß dies, sind sie nicht geradezu als Toren einzuschätzen, da sie einen wertlosen Stoff und zerfallene Asche in Seide und in einem goldenen Gefäße getragen haben? Hat sich nicht auch das Volk all der Kirche albern benommen, welches den heiligen Reliquien entgegengezogen ist und sie mit solcher Freude aufgenommen hat, als ob es den lebenden Propheten vor sich gegenwärtig sähe? War es nicht blöde, daß von Jerusalem bis Chalzedon ein Volksschwarm den den andern ablöste und sich einhellig zusammenfand im Lobpreise Christi? Sie haben wohl den Samuel angebetet statt Christus, dessen Priester und Prophet Samuel war. Du hältst ihn für einen Toten daher deine Lästerung. Lies die Worte des Evangeliums: „Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs ist kein Gott der Verstorbenen, sondern der Lebendigen“7 . Wenn sie also leben, dann sind sie nicht in einem Kerker eingeschlossen, magst du ihn auch einen ehrenvollen nennen.
Der Begriff adorare wird von Hieronymus nicht mehr in seiner allgemeinen Bedeutung verehren, sondern nur für anbeten im eigentlichen Sinne gebraucht. ↩
Apg. 14, 11—14. ↩
Apg. 10, 26. ↩
Die Überführung fand statt im 20. Regierungsjahre des Kaisers Constantius. Vgl. De vir. ill. c. 7. ↩
Nach antiker Anschauung waren die Gräber ein bevorzugter Aufenthaltsort der Dämonen. ↩
Diese Übertragung fand nach einer Notiz des Chronicon paschale [ed. Paris p. 308] im Mai des Jahres 406 statt ↩
Mark. 12, 26 f. ↩
