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Dialog gegen die Pelagianer (BKV)
6.
Es gibt vier Gemütsbewegungen, von denen das Menschengeschlecht heimgesucht wird, zwei, die sich auf die Gegenwart, zwei, die sich auf die Zukunft beziehen, zwei, die angenehm, und zwei, die unangenehm sind. Der Kummer, welchen die Griechen λύπη [lypē], und die Freude, welche sie χαρά [chara] und ἡδονή [ēdonē] nennen, welch S. 415 letzterer Ausdruck bei sehr vielen auch die Lust bezeichnet. Das eine ist etwas Gutes, das andere ein Übel. Wir gehen über das Maß hinaus, wenn wir uns über Dinge freuen, worüber wir uns nicht freuen sollen wie Reichtum, Macht, Ehre, Unglück und Todesfall eines Feindes, oder wenn wir umgekehrt, wovor der Apostel warnt, uns quälen lassen vom Schmerze über gegenwärtige Übel wie Mißgeschick, Verbannung, Armut, Schwächlichkeit und Tod von Verwandten. Wir gehen ferner über das Maß hinaus, wenn wir nach Dingen streben, die wir für Güter halten wie Erbschaften, Ehrenstellen, Glück in allen Unternehmungen, körperliche Gesundheit und anderes, das wir, wofern es vorhanden ist, mit Freuden genießen. Wir überschreiten aber auch dann das Maß, wenn wir das fürchten, was wir als unangenehm betrachten. Von diesen Gemütsbewegungen kann man sich nach den Stoikern Zeno und Chrysippus1 völlig lossagen. Nach den Peripatetikern2 aber ist es schwer und unmöglich, eine Ansicht, mit welcher die Autorität der gesamten Heiligen Schrift übereinstimmt. Darum sagt auch Josephus3, der Schreiber der Makkabäergeschichte, die Gemütsbewegungen könnten gebrochen und regiert, aber nicht mit der Wurzel entfernt werden, und auch die fünf Bücher Ciceros von den Tuskulanischen Disputationen sind mit Erörterungen über diese Dinge angefüllt. Denn nach dem Apostel kämpfen gegen uns die Gebrechlichkeit des Körpers und die Geister der Bosheit in der Luft4. Nach der Aussage desselben Apostels ist es offenkundig, daß die Werke des Fleisches und die Werke des Geistes sich gegenseitig befehden5, so daß wir nicht das tun, was wir wollen. Wenn wir nicht tun, was wir wollen, wenn wir S. 416 vielmehr wirken, was wir nicht wollen, wie könnt ihr dann sagen, der Mensch könne, so er wolle, ohne Sünde sein? Du siehst, daß der Apostel und alle Gläubigen nicht vollführen können, was sie wollen. „Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“6, nicht so sehr vergangene, als gegenwärtige, damit wir, wenn die Liebe Gottes in uns wohnen bleibt, nicht weiter sündigen. Deshalb heißt es auch von einer Sünderin: „Ihr werden viele Sünden vergeben werden, weil sie viel geliebt hat“7. Daraus ergibt sich, daß es nicht ausschließlich in unsere Gewalt gelegt ist, zu tun, was wir wollen, sondern daß wir auch von Gottes Milde abhängig sind, ob er etwa unseren Willen unterstützt.
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Zu Zeno s. S. 384; zu Chrysippus s. S. 348. ↩
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Anhänger der Philosophie des Aristoteles. ↩
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Viertes Makkabäerbuch c. 3 (οὐ γὰρ ἐκριζωτής τῶν παθῶν ὁ λογισμός ἐστιν αλλ’ ἀνταγωνιστής) [ou gar ekrizōtēs tōn pathōn ho logismos estin all antagōnistēs]. Ob Josephus der Verfasser des Buches ist, bleibt zum mindesten sehr zweifelhaft. ↩
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Ephes. 6, 12. ↩
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Gal. 5, 17. 19. ↩
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1 Petr. 4, 8. ↩
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Luk. 7, 47. ↩
Edition
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Dialogos contra Pelagianos Admonitio
6.
Perturbationes humani generis. — Quatuor sunt perturbationes, quibus genus vexatur humanum, duae praesentis, et duae futuri: duae bonorum, et duae malorum. Aegritudo, quae Graece dicitur λύπη, et gaudium, quod illi χάραν vel ἡ δονὴν, vocant: quamquam ἡ δονὴ voluptas a plerisque dicatur: alterum mali, alterum boni. Excedimusque mensuram, si gaudeamus super his, quae non debemus, divitiis, potentia, honoribus; inimicorum infelicitate, vel mortibus: aut e contrario praesentium malorum dolore cruciemur, adversis, exsiliis, paupertate, languore, et mortibus propinquorum, quod Apostolus fieri prohibet; et rursum si cupiamus ea quae arbitramur bona, haereditates, honores, prosperitates omnium rerum, et corporum sanitatem, et caetera quorum praesentia gaudio fruimur: et metuamus illa, quae putamus adversa; quibus ad perfectum carere juxta Stoicos, Zenonem videlicet, et Chrysippum, possibile est: juxta Peripateticos autem et difficile et impossibile est: cui sententiae omnis scripturae sanctae consentit auctoritas. Unde et Josephus Machabaeorum scriptor historiae, frangi et regi posse dixit perturbationes animi, non eradicari, et quinque Tusculanarum quaestionum Ciceronis libri, his disputationibus referti sunt. Pugnant enim, juxta Apostolum, adversum nos fragilitas corporis, et spiritalia nequitiae in coelestibus (Ephes. VI, 12). Manifesta sunt, dicente eodem, opera carnis et opera spiritus, et haec sibi invicem adversantur (Galat. V, 19), ut non quae volumus, illa faciamus. Si non quod volumus, facimus, sed quod nolumus, illud operamur: quomodo dicitis, Posse hominem sine peccato esse, si velit? Ecce Apostolus, omnesque credentes, quod volunt, implere non possunt. Charitas operit multitudinem peccatorum (I Petr. IV, 8), non tam praeteritorum quam praesentium, ne ultra, Dei in nobis manente charitate, peccemus. Quamobrem de muliere peccatrice dicitur: Dimittuntur ei peccata multa, quoniam dilexit plurimum (Luc. VII, 47). Ex quo intelligimus non nostrae solum esse potestatis facere quod velimus, sed et Dei clementiae, si nostram adjuvet voluntatem (I Joan. I).