12.
Antworte mir, bitte: „Wo bleiben die leichten Gebote?“ „Wollet nicht“, so sagt Christus, „um den morgigen Tag euch kümmern! Denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jedem Tage genüget seine Plage“1. Ihr natürlich denket nicht an den morgigen Tag und seid nach Art der Vögel mit dem Gegenwärtigen zufrieden, ihr, deren Briefe, auf Papyrus geschrieben, hinüberfliegen über die Flüsse Äthiopiens, damit neben Affen und Pfauen dem Salomon neue Geschenke aus Ophir übersandt werden möchten2. ― Willst du wissen, wie leicht Gottes Gebote sind? Dann höre auf folgenden Ausspruch: „Wie eng und wie schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden!“3 Er sagt nicht, „die auf ihm wandeln“; denn dies ist noch schwerer, sondern „die ihn finden“. Wenige finden ihn, und noch viel weniger wandeln auf ihm. — „Der Menschensohn hat nicht einmal einen Ort, wo er sein Haupt zur Ruhe legen kann“4, so spricht der, welcher bei Isaias sagt: „Nehmet den Ermatteten auf! Das ist meine Ruhe“5. Wenn er, der an anderer Stelle sagt: „Auf wem soll ich ruhen, wenn nicht auf dem Demütigen, auf dem Ruhigen und auf dem, der vor meinen Worten zittert“6, keinen Ort hat, wohin er sein Haupt legen und wo er ausruhen kann, wo bleibt dann die leichte Beobachtung der Gebote? — Viele verstehen das Schriftwort: „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zur Buße zu berufen, sondern die Sünder“7 ganz S. 425 einfach in dem Sinne: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“8. Andere bieten allerdings eine gezwungenere Deutung:„ Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen“, da keiner vollkommen gerecht, vielmehr jeder in irgeneiner Beziehung ein Sünder ist, „sondern Sünder“, mit denen die Welt angefüllt ist nach den Worten Davids: „Rette mich, o Herr, denn es gibt keinen Heiligen9. Sie sind verderbt und verabscheuungswürdig in ihrem Tun. Alle sind abgeirrt und insgesamt unnütz geworden. Es gibt keinen, der Gutes tut, nicht einen einzigen“10. ― Christus sagt: „Besitzet weder Gold, noch Silber, noch Geld in euren Gürteln, noch eine Tasche auf dem Wege, noch Brot, auch nicht zwei Kleider oder Schuhe oder einen Stab!“11 Du wirst sagen, das seien Vorschriften, die nur für die Apostel Gültigkeit hatten. Es wird aber bestimmt vom Apostel Petrus berichtet, daß er Schuhe gehabt habe, da der Engel zu ihm spricht: „Umgürte dich und ziehe deine Schuhe an!“12 Zwei Kleider aber, um von den übrigen Dingen zu schweigen, besitzen, wie ich glaube, sowohl ich als du, wenn wir deren nicht noch mehr haben. Dies sage und führe ich immer von neuem und zu wiederholten Malen an, damit du errötest über deine Behauptung, die Gebote Gottes seien leicht.
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Matth. 6, 34. ↩
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Auf welchen Vorgang hier angespielt wird, bleibt dunkel. Nach dem Zusammenhang denkt man am ehesten an Bettelbriefe. ↩
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Matth. 7, 14. ↩
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Matth. 8, 20; Luk. 9, 58. ↩
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Is. 28, 12. ↩
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Is. 66, 2. T M, LXX und Vulgata lesen statt requiescam „hinschauen“. ↩
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Matth. 9, 13. ↩
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Mark. 2, 17. ↩
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Ps. 11, 2 [Hebr. Ps. 12, 2]. ↩
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Ps. 13, 1. 3 [Hebr. Ps. 14, 1. 3]. ↩
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Matth. 10, 10. ↩
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Apg. 12, 8. ↩